piwik no script img

Die Wetterkarte im Blick

■ Der Dauerfrost legt Hamburgs Baustellen lahm: 15.000 ArbeitnehmerInnen im Baugewerbe dürfen momentan zuhause bleiben Von Uwe Scholz

„Reiner J. genießt die Schlechtwetterperiode und hofft, daß sie noch lange anhält“, fällt dem Rohrleitungsbauer Reiner Jensen als Schlagzeile für einen Bericht über Bauarbeiter im Winterschlaf ein. Wie viele seiner Kollegen aus dem Baugewerbe sitzt er derzeit zuhause. Er ist Gemütsmensch, lebt in Hamm und strahlt eine gehörige Portion gute Laune aus. „Ich verfolge mit Spannung die abendliche Wetterkarte“, schmunzelt er. Denn dann weiß er, ob er am nächsten Morgen arbeiten gehen muß.

Allein im Bauhauptgewerbe können rund 15.000 Arbeiter wegen der anhaltenden Kälte nicht arbeiten, schätzt Christoph Burmeester von der Industriegewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt. Fast das gesamte Bauhauptgewerbe steht still. Viele Arbeiten im Tiefbau, Straßenbau und Häuserbau sind zur Zeit nicht möglich, weil der Boden gut einen Meter tief gefroren ist. Mörtel bindet bei Minus zehn Grad nicht ab, Wandputz haftet nicht auf seiner Unterlage.

Das Problem ist der gefrorene Boden. „Wir Rohrbauer sind die, die angerauscht kommen, wenn jemand zum Beispiel einen Gasanschluß haben will“, erzählt Reiner Jensen. Um das Gasrohr verlegen zu können, müssen Schächte gegraben werden; „Rasen umpflügen und die Blumenzwiebeln ausgraben“ nennt Reiner J. das, was bei dem tiefgefrorenen Boden ohne schweres Gerät völlig unmöglich ist. Außerdem seien viele Baumaßnahmen bei Minusgraden viel zu teuer für die Bauherren. Nur im Notfall, wenn eine Gasleitung oder ein Wasserrohr platzt, muß Reiner ran: „Dann mußt du raus, trotz kalter Füße.“ Doch zu solchen Einsätzen mußte er in diesem Jahr noch nicht hinaus in die Kälte.

Und so sitzt Reiner zuhause – seit Weihnachten. Für die ersten 150 ausgefallenen Arbeitsstunden bekam er „Winterausfallgeld-Vorausleistung“ bezahlt, sie beträgt 75 Prozent seines Bruttolohnes und muß versteuert werden. Dieses „Überbrückungsgeld“, wie es im Bauhauptgewerbe genannt wird, zahlt der Arbeitgeber. Zusätzlich zu dieser Leistung erhält Reiner noch zwei Mark pro Stunde vom Arbeitsamt.

Nachdem er nun die ersten 150 Stunden „frostfrei“ hatte, bekommt er nach der seit dem 1. Januar geltenden Neuregelung der früher als „Schlechtwettergeld“ bekannten Ausfalleistung Arbeitslosengeld vom Arbeitsamt. Das macht für ihn mit Steuerklasse eins nur noch rund 60 Prozent des Nettolohns aus.

„Ich komm' da gut mit lang“, ist Reiner einigermaßen beruhigt, „aber ich muß auch nur für mich selber sorgen. Ich wohn' mit meiner Freundin, wir teilen uns die Miete“. Bei einem Familienvater mit zwei Kindern dagegen, „wenn der noch was am Haus abzubezahlen hat – dann sieht das nach sechs, sieben Wochen Schlechtwetter schon ganz anders aus“. Wie seine Finanzen nach der neuen Regelung genau aussehen werden, weiß Reiner Jensen noch nicht. „Ich muß noch die Abrechnung abwarten“ – aber Sorgen macht er sich noch keine. In seiner freien Zeit liest er viel, „das letzte war die 'Wassermusik' von T.C. Boyle – ganz toll!“, geht abends mit Freunden weg und freut sich aufs Ausschlafen am nächsten Morgen. Die Tagesschau aber verpaßt er in diesen Tagen nie – „wegen des Wetterberichts!“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen