: Die Welt gerät konstruktiv aus den Fugen
Seit rund dreißig Jahren verhilft das Künstlerpaar Anna und Bernhard Blume den Gegenständen und Ritualen des kleinbürgerlichen Alltags zu einem fantastischen Eigenleben. Das Dortmunder Ostwall-Museum zeigt mit der Ausstellung „de-konstruktiv“ eine Blume-Schau aus fünfzehn Fotoserien
VON KATJA BEHRENS
„Eine leicht fassliche Methode zur Erlernung des Wahnsinns für jedermann“ nannte der Dada-Künstler Kurt Schwitters die 1922 geschriebenen Memoiren seiner Angebeteten, Anna Blume. Der aufmüpfige Geist und die klischee-triefende Ironie, mit der er in unzähligen Merz-Gedichten seit 1919 seiner Anna huldigt, besitzt nach wie vor eine magische Anziehungskraft.
Aufbegehren der Dinge
Der identische Name mag Zufall sein. Doch auch die im Münsterland geborene und in Köln und Hamburg lebende Namensvetterin, die Künstlerin Anna Blume, scheint die befreiende Luft des Dada-Anarchismus geatmet zu haben. Sie arbeitet seit rund dreißig Jahren, nach dem gemeinsamen Studium an der Kunstakademie Düsseldorf, im künstlerischen Duett mit ihrem Ehemann Bernhard Blume. Zusammen kommentieren sie den alltäglichen Wahnsinn unserer kleinen Welt in surrealen Inszenierungen. Das Künstlerpaar Blume, beide im selben Jahr 1937 geboren, muss sich freilich nicht ausdrücklich auf die literarische Gestalt und Namenspatronin bei Schwitters berufen, um den Nonsens der eigenen Performances zu legitimieren.
Denn dass die kunstvoll arrangierte und fotografierte Anarchie ihrer Ding- und Bildwelt längst kunsthistorische Patina hat, stört auch 2007 erstaunlich wenig. Im Museum am Ostwall geben Fotoarbeiten, Zeichnungen und Wandobjekte seit den 1970er Jahren Einblick in die wild-wuchernde Phantastik der beiden Künstler. Die Bilder feiern das fröhliche Aufbegehren der Dinge, ihre Widerspenstigkeit und ihre Macht. Und fast nebenbei auch sind die Fotografien in ihrer negativen Affirmation Auflehnung gegen den Kanon der Nachkriegs-Kunstgeschichte.
War bei Joseph Beuys die soziale Plastik politische Manifestation und Appell an jeden Einzelnen, aktiv die Gesellschaft, ihre sozialen Beziehungen und Strukturen mitzugestalten, so ist die parodistische Aneignung des erweiterten Kunstbegriffs, den die Blumes so fröhlich zelebrieren, eher die Halluzination jener ernst gemeinten Aktionen mit ganzem Körpereinsatz.
Selbst-Enthemmung
Wenn Bernhard Blume etwa, wie in einer Performance 1977, im elterlichen Wohnzimmer in Dortmund-Kley mit seiner Mutter Maria auf dem Sofa herumhopst oder wenn Gegenstände wohlanständiger Bürgerlichkeit wie eine Blumenvase („Vasenekstase“) ein neurotisches Eigenleben zu führen beginnen, dann ist ein Referenzpunkt augenscheinlich: „die ganze verklemmte, unfreie, autoritäre Situation in unserer Kindheit und Jugend im Nachkriegsdeutschland“. Die Beseelung der Alltagsobjekte, die schwerelose Doppeldeutigkeit und Chaotisierung des bislang Wohlgeordneten lässt die kleinbürgerliche Lebenswelt des trauten Heims – und mit ihr all die lieb gewonnenen Gesten und Rituale des Alltags – aufbrechen. Eine Form selbsttherapeutischer Enthemmung, die sicher vielen anderen Menschen und nicht zuletzt auch sich selbst zu wünschen wäre. Die fanatische Blumenvase, die Bücher, die Kochtöpfe und wildgewordenen Pellkartoffeln bekommen plötzlich ein surreal-mystisches und feindliches Eigenleben.
Neurotisches Potential
Ihre Ekstasen werden lesbar als ein Symbol für all die Ekstasen, die man sich im normalen Leben verkneift. Und eigentlich sogar für solche, die einem nicht einmal in den Sinn gekommen wären. Bei all der Inhaltlichkeit der vielen ähnlichen fotografischen Inszenierungen des Künstlerehepaars aber scheint die Entmystifizierung des Mediums Fotografie nur ein Nebeneffekt zu sein – und ist doch ein wesentlicher Aspekt ihres konzeptuellen Arbeitens. Es wird in Serie produziert und in Serie parodiert. Und die Blumes selbst scheinen irgendwie regelmäßig außer Rand und Band zu geraten. Die Orte und Gegenstände des bundesrepublikanischen Kleinbürgeralltags werden erst beseelt, um dann noch schöner all ihr neurotisches Potential entfalten zu können.
de-konstruktivMuseum am Ostwall, DortmundBis 11.2.2007Infos: 0231-5023247