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Die Wege des Mülls sind unergründlich

■ Über Müllverkehr im Dreiländereck, über das Verhältnis von Grenze und Deponie und über das Nichtwissen der Zöllner / Vor allem aber über den Einfall, Sondermüll als Wirtschaftsgut zu behandeln

Von Schmider / Knaup

Der Durchschnittsschweizer kennt nur zwei Gründe, sich mit dem Müll zu befassen: wenn er den Hausmüll wegschafft und wenn er sich darüber ärgert, daß der Dreck in seiner Nähe deponiert oder verbrannt wird. Das meinte kürzlich ein hoher Basler Regierungsbeamter. Diese Kritik am Durchschnittsschweizer ist ungerechtfertigt. Denn der Durchschnittsdeutsche verhält sich so und mehr noch die Regierungen. Beispiel Basel: weil in der Industriestadt kein Platz für Deponien ist, wird dort seit Jahren der gesamte Hausmüll verbrannt. Die Schlacke ihrer Anlage jährlich 60.000 Tonnen, rund ein Drittel des Verbrennungsgutes - bringen die Basler auf eine nahegelegene Deponie ins Elsaß, wo sie ungeschützt aufgetürmt wird. Im Gegenzug „entsorgen“ mehrere elsässische Gemeinden ihren Müll kostenlos in den Basler Öfen.

Beispiel Weil am Rhein: Während sich die Stadt gegen den Bau eines Sondermüllofens des Basler Chemiemultis Ciba -Geigy vor ihrer Haustür direkt an der Grenze weigert, beschickt sie mit ihrem Hausmüll die in den 40er Jahren errichtete Basler Hausmüllverbrennungsanlage, die als der größte Luftverpester, insbesondere in puncto Dioxin, in der Chemiestadt gilt. Beispiel Straßburg: Mit Vehemenz setzen sich die Elsässer gegen den von der Stuttgarter Landesregierung geplanten Sondermüllofen im badischen Kehl zur Wehr. Aber gleichzeitig betreiben sie vis-a-vis mehrere Müllverbrennungsanlagen, davon eine für Sondermüll, die als hoffnungslos veraltet gilt. Verbrannt wird dort keineswegs nur der Dreck der Franzosen. Allein der benachbarte Ortenaukreis läßt jährlich 50.000 Tonnen Hausmüll in den Straßburger Anlagen verfeuern. Hinzu kommen 10.000 Tonnen Sondermüll aus ganz Baden-Württemberg. Weitere 300.000 Tonnen Hausmüll wechseln jährlich die Grenzen in Richtung Lothringen, Elsaß oder Champagne. Die Absender sind teilweise Hunderte von Kilometern entfernt in Mannheim, Esslingen, Karlsruhe, Ulm oder Baden-Baden.

Augen zu und durch - Müll gegen Geld lautet die Devise. Jenseits der Grenze läßt sich der Müll billiger und unauffälliger verscharren. Denn die Genehmigung für eine Hausmülldeponie liegt in Frankreich in der Kompetenz der Kommunen. Und welche Gemeinde hat nicht ein brachliegendes Zipfelchen Land, das sich für solch eine Müllkippe eignen würde? Die Sicherheit der Deponien zu überprüfen, geschweige denn zu überwachen, ist nicht möglich: „Das fällt in das Hoheitsrecht des jeweiligen Abnehmerlandes“, meint der Sprecher des baden-württembergischen Umweltministers lapidar. So war es auch bei den DDR-Deponien vor Ketzin und Schönberg. So tauchte der Landrat des von Müllsorgen besonders geplagten Landkreises Breisgau-Hochschwarzwald auf lothringischen Deponien auf, um neue Entsorgungswege auszukundschaften. Daß er dies ohne das Wissen des lokalen Präfekten tat, stieß den Franzosen unangenehm auf und ließ für dieses Mal seine Bemühungen platzen.

Im grenzenlosen Müllgeschäft fällt auf: Mit Vorliebe werden nämlich Verbrennungsanlagen just entlang der Grenzen aufgereiht. Das ist in Basel nicht anders als mit der in Straßburg beziehungsweise der in Kehl geplanten Anlage. Sollte der Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald nach dem mißglückten Erkundungstrip des Landrates - nicht um den Bau einer Verbrennungsanlage herumkommen, dann wird auch sie nahe der Grenze errichtet werden. Und weiter südlich, in Lörrach und Waldshut, hat man längst das Gelände des einstmals geplanten Atomkraftwerkes von Schwörstadt, direkt am Rhein, als möglichen Standort einer Verbrennungsanlage auserkoren. Die Grenze halbiert das Protestpotential im eigenen Land und diplomatische Turbulenzen sind leichter zu ertragen als verstimmte Wähler.

Noch undurchsichtiger ist das Sondermüllgeschäft. Eigentlich sollen die sogenannten „Euro-Verbringungsscheine“ sicherstellen, daß nur ein- und ausgeführt wird, was auch genehmigt ist. Nur: Die Stoffkontrollen nehmen dabei die „Entsorger“ selbst vor, jene also, die an dem Geschäft verdienen. Sie leiten - in Baden-Württemberg einen Durchschlag der Scheine an die Landesanstalt für Umweltschutz weiter, sobald die Fracht bei ihnen angelangt ist, und bestätigen damit gleichzeitig auch die „Richtigkeit“ der Lieferung. Die Landesanstalt wiederum prüft, ob die Angaben für die Genehmigung und die des Endabnehmers übereinstimmen. Den Transport selbst nimmt kaum jemand in Augenschein. Einen Überblick über das, was da hin und hergekarrt wird, hat auch die Landesanstalt nicht. Für den Export liegen lediglich Daten für 1988 vor. Danach waren die DDR, Frankreich und Belgien Hauptabnehmer des Sondermülls aus dem „Musterländle“. Offiziell wurden rund 295.000 Tonnen exportiert, um die Hälfte mehr als Nordrhein -Westfalen und etwa ebensoviel wie Hamburg zu bieten haben. Die neuesten Importdaten stammen aber von 1986, weil ein neues Computerpogramm für die Auswertung der Euroscheine noch nicht läuft.

Kontrollieren könnte die Transporte nur der Zoll. Doch der ist darauf weder personell noch fachlich vorbereitet. „Wir wissen nicht, ob die Fracht auf einem Lastwagen tatsächlich mit dem übereinstimmt, was in den Begleitpapieren steht“, sagt ein Zöllner, der am vielbefahrenen Grenzübergang Basel -Weil/Autobahn Dienst schiebt. Denn nicht immer sind es für jedermann erkennbare Altbatterien aus einer Haushaltssammlung, die da auf dem Laster liegen. Labors wären nötig, Chemiker vor Ort. Der Zoll verfügt heute aber noch nicht einmal über Schutzanzüge oder Atemschutzgeräte. „Ich stecke meine Nase doch nicht in einen Tank, wenn ich nicht weiß, wie gefährlich der Inhalt ist“, meinte der Zöllner. „Woher soll ich denn wissen, daß ein als Wirtschaftsgut deklarierter Stoff kein Sondermüll ist und zwei Kilometer hinter der Grenze irgendwo gekippt wird“.

Unberechtigt ist seine Sorge nicht: erst umlängst äußerte ein Mitarbeiter des Umweltbundesamtes vor dem Dioxin -Ausschuß des Stuttgarter Landtages den Verdacht, daß Sondermüll nicht immer als solcher durch die Lande und über die Grenzen gekarrt wird, sondern oftmals unter dem Deckmantel eines Wirtschaftsgutes. Denn während beim Sondermüll Genehmigungen für den Tansport eingeholt werden müssen und im Idealfall - darüber auch Buch geführt wird, gibt es solche Kontrollmechanismen für ein Wirtschaftsgut nicht. „Ob ein Stoff Sondermüll oder ein Wirtschaftsgut ist, das bestimmen letztlich Absender und Empfänger“, bestätigt ein Mitarbeiter des Umweltschutzamtes Lörrach. Vermutungen gibt es viel, beim Zoll wie beim Umweltbundesamt - Beweise indes nicht: Denn eine Kontrolle findet nicht statt. Tatsache aber ist: Was als Wirtschaftsgut eingeführt wird, ist sowohl den Augen der Überwachungsbehörden im Export- und auch im Importland entzogen. Und ob Wirtschaftsgut oder Sondermüll, das Geschäft blüht.

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