Die Wahrheit: Wir formulieren positiv
Post von der Rechtsschutzversicherung? Sie wollen doch nur dein Bestes! Also dein Geld. Oder so.
M eine Rechtsschutzversicherung hat mir einen lieben Brief geschrieben. Er beginnt geradezu fröhlich und schlägt mir, ohne konkret zu werden, vor, es doch mal mit Mediation zu versuchen. Oft sei ein Rechtsstreit durchaus zu vermeiden, und genau dabei würde man so gerne helfen.
Ich sehe ihn sofort vor mir: einen frisch gewaschenen Mediator, der flugs vorbeigejoggt kommt, wenn wieder Ärger droht. Ein Bild der Erleichterung. Im weiteren Verlauf allerdings wird der Ton des Schreibens rauer, und das macht mir dann doch Sorgen.
Ich rufe an und erkläre, dass es sich bei meiner Gegnerin nicht um eine drollig verdrehte Nachbarin handelt, die man mithilfe von Pralinenpräsenten zum Einlenken bewegen kann. Dass wir, also alle Mieterinnen unseres Hauses, von einem Immobilienhai aggressiv und mit Schikanen aus unseren Wohnungen gedrängt werden.
Frau W. am Versicherungstelefon tut professionell freundlich ihr Bedauern kund und erklärt mir, was eine Mediation ist, bis ich ihr glaubhaft machen kann, das verstanden zu haben. Dann wird sie konkret und erklärt mir, dass Versicherungen Wirtschaftsunternehmen seien, keineswegs gewillt, Geld zu ihren eigenen Ungunsten auszugeben. Umgehend tue ich die naive Überzeugung kund, dass wir doch einen Vertrag hätten, der besagt, dass ihr Wirtschaftsunternehmen mich gegen bestimmte Zumutungen des Lebens unterstützen würde. Im Gegenzug würde ich jährlich und pünktlich meine Beiträge zahlen …
Pause
An dieser Stelle entsteht eine bedeutungsvolle Pause. Frau W. spricht nun etwas langsamer und auch deutlich strenger mit mir. Den Unterlagen zufolge hätten meine Klagen auf Heizbarkeit der Wohnung, auf Schimmelbeseitigung und auf Unterlassung einiger schikanöser Handlungen im Haus zwar Berechtigung, würden aber zunächst auch einiges an Geld kosten. Honorar für die Briefe meiner Anwältin zum Beispiel.
Ich atme durch. Ich sehe den schmalen Rücken des tapferen kleinen Konzerns unter der Last meiner fünf Anwaltsbriefe zusammenbrechen und das gefeuerte Personal mit Kartons in den Armen weinend das Stammhochhaus in Frankfurt am Main verlassen.
Nachdem ich mich ausgiebig geschneuzt und ein bisschen gefasst habe, frage ich, wie ich helfen könne.
Als es noch Drohbriefe gab
Mit einem Na-geht-doch-Luftholen findet Frau W. zu mir zurück. Der vorliegende Brief sei ja nur ein Sensibilisierungsschreiben. Für die Zukunft. Ich antworte ihr, dass ich schon etwas älter sei und dass man so etwas früher Drohbrief genannt hätte. Frau W. lacht glockenhell: „Wir formulieren positiv!“
Später höre ich in den Nachrichten, dass ein brutaler Militärschlag im Auftrag Putins in einem Nachbarland von einer „privaten Militärfirma“ ausgeführt worden sei. In alter Zeit, als es noch Drohbriefe gab, hießen die Jungs Söldner. Und noch früher Mörder. Aber so sagen wir das jetzt nicht mehr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül