Die Wahrheit: Soforthilfe beim Geldausgeben
Tabuthema Kauflauneverlust: Endlich arbeitet ein Frankfurter Therapeut erfolgreich gegen das grausame Leiden an.
Nicht wenige Menschen befällt das Problem einmal im Leben und jeder hat statistisch gesehen mindestens eine Person im näheren Umfeld, die unmittelbar davon betroffen ist. Dennoch wiegt das Stigma schwerer als das Bedürfnis, sich zu outen: Der Verlust der Kauflaune wird nur zu gern totgeschwiegen. Dabei hängt jede Menge von ihr ab. Die Wirtschaft benötigt die Kauflaune, die Aktienmärkte fordern sie ein und das ganz persönliche Glück ist immer noch am einfachsten per Kreditkarte zu erlangen. Wer Letzteres bezweifelt, zeigt Experten zufolge übrigens bereits erste Symptome und sollte sich schleunigst von Fachkräften durchchecken lassen.
Zu Dr. Wolfram Brausel etwa kommen täglich Patienten in seine Praxis auf der Frankfurter Zeil zwischen Nanunana und dem O2-Shop. Patienten, bei denen sich nichts mehr regt. Prozente, Schlussverkäufe, Anlageversprechen – wenn der entsprechende Kaufimpuls trotz aller bekannten Reize ausbleibt, sei das für die allermeisten erst einmal mit Scham behaftet, so Dr. Brausel.
„Diese Menschen sind oft unglaublich passiv und brauchen dringend Hilfe beim Geldausgeben“, erklärt er. Der erste Therapieansatz erfolge meist in Form von Gutscheinen, um die nicht selten über Monate, bisweilen auch über Jahre aufgebaute Hemmschwelle vor dem Transaktionsakt herabzusetzen. Hierfür arbeite seine Praxis mit großen Supermarktketten und gut sortierten Elektrofachmärkten zusammen. Am Ende habe jeder etwas davon, so Dr. Brausel. Aber ganz besonders er.
Starker Leidensdruck
Wie es sich anfühlt, wenn der Geldbeutel klemmt, das weiß Hans-Jochen Schmidtke. Hinter ihm liegen lange Jahre des selbst verschuldeten Verzichts und unzählige links liegen gelassene Schnäppchenangebote. „Im Nachhinein macht einen das natürlich wütend, ganz klar“, stammelt Schmidtke. „Da sind Chancen und Vorurteilswochen an mir vorbeigegangen, das kommt so alles nie wieder.“ Schmidtkes sonorer Stimme hört man den Leidensdruck noch deutlich an. Er habe sich damals einfach nicht mehr im Griff gehabt, beteuert er. Das klingt mitleiderregend und irgendwie auch billig.
„Eine klassische Strategie“, weiß Dr. Brausel. Betroffene würden ihr Leid emotionalisieren, statt sich der trockenen Realität zu stellen: dass sie über viel zu lange Zeit viel zu wenig Geld ausgegeben und damit nicht nur sich, sondern auch Wirtschaft und Industrie enormen Schaden zugefügt hätten. Dr. Brausel habe für so etwas kein Verständnis, sagt er. Deshalb habe er sich mit seiner Praxis auch auf diese Fälle spezialisiert. Um den Betroffenen zu zeigen, dass es so mal überhaupt nicht gehe und um ihnen die Rechnung für ihr rücksichtsloses Verhalten vor den Latz zu knallen. „Das erfüllt mich“, sagt er. „Dafür habe ich gerne mein Risk-Management-Studium an der Telekom-Business-School Bautzen durchgezogen.“ Heute könne er davon gut leben und sich schöne Produkte kaufen.
Im Schnitt sollte man am Tag 17 Kaufvorgänge hinter sich bringen. Das, so behauptet es eine gekaufte Studie von Dr. Brausel, habe sich als stabiler Wert sowohl für die Wirtschaft als auch das Seelenheil bewährt. Nach oben sei natürlich immer Luft, sagt er. Dabei sei es auch erst einmal egal, ob es sich um große oder kleine Summen handle, wichtig sei, nicht aus dem Rhythmus zu kommen. Alles andere würde sich über die Preispolitik im Prinzip ohnehin von selbst regulieren.
„Ein Preisschild ist eine Orientierung, man sollte sich an Zahlen aber nicht allzu sehr festbeißen, dafür ist das menschliche Gehirn einfach nicht gemacht“, sagt Brausel den Patienten in seinen Therapiegesprächen zum Staffelpreis immer wieder. Gleiches gelte für den Kontostand. „Der ist unwichtig. Ihre Bank wird Ihnen bei Bedarf schon ein Angebot machen, damit der ganze Wahnsinn weitergehen kann, herrje!“
Guter Therapieplan
Patient Schmidtke jedenfalls kann heute wieder lachen. Er sei heute Morgen dank Brausels Ratschlägen einen guten Schritt weitergekommen. „Ziel meines Therapieplans war es eigentlich nur, heute im Rewe 40 Packungen Schmand zu kaufen. Aber dann habe ich dem Filialleiter spontan ein Angebot gemacht und gleich den ganzen Laden gekauft!“
Schmidtke weint und lacht vor Freude gleichzeitig, doch dann übermannt ihn wieder die alte Schwäche und er bricht zusammen. Unter Anleitung von Dr. Brausel repetiert er sein ganz individuelles, in der Therapie erarbeitetes Power-Mantra: „Die Schufa kann mir gar nichts, die Schufa kann mir gar nichts, die Schufa kann mir gar nichts …“
Brausel klopft ihm stolz und anerkennend auf die Schulter und reicht ihm ein Therapietaschentuch für 19 Euro das Stück. Wir verabschieden uns wenig später von einem gar nicht mehr so gebrochen wirkenden Schmidtke und einem strahlenden Dr. Brausel. Ein großer Schritt in Schmidtkes Leben ist getan. Mögen ihm viele folgen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“