Die Wahrheit: Coole Kerlchen für die Ewigkeit

In diesen Tagen werden die „Peanuts“ 70 Jahre alt. Eine Hommage an die Cartoon-Figuren und ihren Zeichner Charles M. Schulz.

Selbstporträt des Meisters als Snoopy auf einem seiner ersten Comichefte Foto: taz-archiv

Am 2. Oktober 1950 erschien der erste Streifen der „Peanuts“. Sie wurden eine der erfolgreichsten Cartoon-Serien aller Zeiten und in nahezu alle Sprachen der Welt übersetzt. Fast fünfzig Jahre lang bis zu seinem Tod am 12. Februar 2000 zeichnete Charles M. Schulz die kleinen „Erdnüsse“. Inzwischen ist im Carlsen Verlag eine 26-bändige Werkausgabe der „Peanuts“ erschienen. Die einführenden Worte für die einzelnen Bände wurden unter anderem von Denis Scheck, Jonathan Franzen, Whoopi Goldberg oder Barack Obama verfasst. Für den Band 16 („1981 bis 1982“) hat Wahrheit-Zeichner ©Tom das Vorwort geschrieben und erläutert, was die „Peanuts“ für sein Leben und Werk bedeuten. Zum Jubiläum dokumentieren wir den Text hier in leicht aktualisierter und bearbeiteter Fassung.

Plötzlich waren die „Peanuts“ cool. Ich trug einen Button mit „Joe Cool“ – das war Snoopy mit einer dunklen, runden Sonnenbrille. Noch heute bin ich stolzer Besitzer mehrerer Original-Siebziger-Jahre-„Peanuts“-Buttons, darunter Snoopy auf der Hundehütte als Flieger. Ich war sofort eisenharter Snoopy-Fan.

Anfang der sechziger Jahre im süddeutschen Säckingen geboren, lernte ich die „Peanuts“ in den frühen Siebzigern kennen. Wir tauschten uns auf dem Schulhof aus über neue Fernsehserien und Comics, die gerade ihre erste Blüte erlebten in Deutschland. Und dann waren da auf einmal die „Peanuts“ und Charlie Brown. Wir alle waren wie dieser kugelköpfige Junge, der zwar ziemlich depressiv war, sich aber mit den wirklich wichtigen Dingen des Lebens beschäftigte: Freunde, Fußball, Fernsehen, Vor-sich-Hinstarren …

Neben Charlie gab es die damenhafte Lucy mit ihrer Perlenkette und der Schleife am Kleid, die uns eine Vorahnung gab auf die noch in weiter Ferne schlummernde Sexualität, wenn sie Schroeder verführerisch anschmachtete. Genial wie Schroe­der wären wir auch gern gewesen. Und dann war da natürlich Snoopy. Der nicht nur ein kleiner Hund, sondern ein cooler Kerl war, der mit seiner Hundehütte fliegen konnte.

In meinem Heimatblatt erschienen die „Peanuts“ damals nicht. Deshalb habe ich sie nicht über die originale Form des Zeitungsstreifens kennengelernt, sondern über Bücher. Es gab diese schmalen, etwas länglichen Bände auf Deutsch. Irgendwann habe ich sogar ein englisches Buch in die Finger bekommen und fand es faszinierend, weil die Sprache viel knapper und kerniger war. Man konnte wunderbar neue Worte lernen wie zum Beispiel „Klotzkopf“, das englische „Blockhead“. Es war toll, wenn man ein Schimpfwort wusste, das andere möglicherweise noch nicht kannten: „Du Klotzkopf!“ Man kann es sich bildlich gut vorstellen.

Anfang der neunziger Jahre arbeitete ich in einem Berliner Comicladen und zeichnete nebenher. Ab und zu bot ich einer Zeitung Karikaturen an und wurde dann gefragt, ob ich einen Streifen machen wollte. Ich rutschte zufällig in das Metier hinein und machte mir damals keine großen Gedanken über Formate, Themen und Figuren. Es gab einen festen Platz auf der Seite, mit dem ich mich begnügen musste. Und so lernte ich, mit drei Bildern Geschichten zu erzählen.

Der Hauptunterschied zwischen den „Peanuts“ und meiner Arbeit ist, dass Charles M. Schulz im klassischen amerikanischen Zeitungsformat des Vierbilderstreifens arbeitete, das die meisten Zeichner der Welt benutzen. Vier Bilder haben den Vorteil, dass die Figuren zwischendurch mal ein bisschen herumstehen und überlegen können. Dramaturgisch gibt es mehr Raum. Man hat die Möglichkeit, die Geschichte zu steigern oder etwas abzuwarten. Man kann Zeit vergehen lassen. Bei drei Bildern ist man schneller am Ziel, und die Pointe kommt kurz und zackig.

Raum braucht Charlie Braun jedenfalls. Sonst könnte dieser gehemmte Junge nicht all seine Freunde um sich sammeln. Er ist der Pol in der Mitte, alle scharen sich um ihn und dafür ist er wichtig. Deshalb ist er die nominelle Hauptfigur, so wie Micky Maus bei Disney. Die beliebteste Figur aber ist ein anderer: Donald Duck oder hier eben Snoopy. Denn Snoopy hat dieses anarchische Element – allein was er in seiner Hundehütte für unglaubliches Zeug drin hat …

Für einen Zeichner auffällig sind die Veränderungen der Figuren. Früher hatte Snoopy eine schmalere Schnauze. Als Zeichner entwickelt man eine Figur, fängt an, die Figur zu bewegen, und stellt dann fest, man muss die Mimik verändern, wenn man die Figur in Bewegung halten will. So sieht man bei den alten „Peanuts“, dass die Locke von Charlie Brown tiefer hängt, fast auf der Nase. Das beeinflusst natürlich die Mimik. Wenn man die Locke höher zeichnet, hat man mehr Platz, auch mit den Augen Geschichten zu erzählen.

Ich habe jedenfalls unter anderem über die „Peanuts“ das Strip-Lesen und das Erzählen von Handlungen gelernt. Die „Peanuts“ sind so tief drin, dass ich mich manchmal bei Zitaten ertappe: Wenn ich ein T-Shirt zeichne, dann ziehe ich sehr oft die zackige Linie von Charlie Browns Shirt. Oder bei meiner „Baumumarmerin“ musste ich unbedingt einmal den Drachen fressenden Baum auftauchen lassen, mit Charlie Brown als Sidekick. Und wenn ich Ärztewitze mache, dann hängt im Wartezimmer selbstverständlich ein Schild „The Doctor is in“. Das sind Zitate, die automatisch kommen. Mich selbst habe ich schon vor zwanzig Jahren auf dem Cover eines Comichefts verewigt: Wie Snoopy sitze ich mit Fliegerbrille und -kappe auf einer Hundehütte.

Der Kollege Schulz … pardon, das wäre vermessen, ihn als „Kollege“ zu bezeichnen –, also der „Großmeister“ Schulz hat in fünfzig Jahren knapp 18.000 Streifen geschaffen. Ich bin jetzt nach fast dreißig Jahren bei rund 8.500. Da bräuchte es noch mal mindestens dreißig Jahre, um ihn zu erreichen. Das ist schon eine Menge Holz. Aber ich möchte nicht unbedingt als Ziel haben, wie er, einen Tag nach dem letzten Streifen zu sterben.

Zu seinem Tod bekam ich damals den Auftrag, einen Streifen mit Charlie Brown und Lucy zu zeichnen. Als Hommage an die Ballgeschichte, bei der Lucy Charly immer den Ball wegzieht, habe ich beide mit ©Tom-Nasen gezeichnet und konnte endlich das Wort „Klotzkopf“ unterbringen. Als ich gebeten wurde, diesen Text zu schreiben, hatte ich ganz vergessen, dass Schulz gestorben war. Schulz und die „Peanuts“ waren eben immer schon da. Und ich dachte wohl, das ginge ewig so weiter. Dass solch ein Mann auch sterben kann, habe ich komplett verdrängt. Er lebt durch sein Werk weiter.

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