Die Wahrheit: Wahn unter Wolldecken
Vom Affen lernen, heißt glücklich werden. Das Wahrheit-Interview zu künstlicher Stupidienz und der Zukunft der Dummheit.
Die künstliche Stupidienz ist ein aufstrebendes, aber in der Öffentlichkeit noch wenig beachtetes Feld der psycho-technologischen Interdisziplinärwissenschaften. Die Wahrheit hat jetzt ein exklusives Interview geführt mit Professor Doktor Eduard Knörnschlund von der Universität Dormagen, einem weltweiten Vordenker auf dem Gebiet der bodenständigen künstlichen Stupidienzforschung.
taz: Herr Professor Knörnschlund, Sie gelten als intellektuell Aussätziger in der wissenschaftlichen Forschergemeinde. Ihre Kollegen meiden Sie, weil sie glauben, ein bloßes Gespräch mit Ihnen könnte sie schon auf Ihr Niveau herunterziehen. Was sagen Sie dazu?
Professor Knörnschlund: Hä?
Anders formuliert: Warum wollen Sie unbedingt zur künstlichen Stupidienz forschen und nicht wie so viele andere zur künstlichen Intelligenz? Immerhin verspricht man sich von Letzterer einen Fortschritt für die Menschheit.
Nö, das ist mir zu öde. Immer nur Computergedöns. Ich arbeite anders, ich will beispielsweise mehr Komfort im echten Leben durch Augmented Ignorance, oder auf Deutsch: durch erweiterten Stumpfsinn.
Aber braucht es dafür nicht auch Computer?
Nö.
Sondern?
Da brauchen Sie nur ’ne dicke Wolldecke. Die ziehen Sie sich über den Kopf und atmen so lange immer wieder die gleiche schlechte Luft ein, bis Sie vom Sauerstoffmangel Wahnvorstellungen kriegen. Dazu brauchen Sie weder Kontakt zur Umwelt noch irgendeinen elektronischen Schnickschnack.
Bestechend einfaches Konzept, Herr Professor. Aber zurück zum Kern Ihrer Forschung, der künstlichen Stupidienz. Wie können die Menschen davon profitieren?
Gegenfrage: Sind Sie es nicht leid, sich ständig Gedanken zu machen? Über dieses oder jenes, über Gott und die Welt? Nervt es Sie nicht furchtbar, darüber nachzusinnen, was die Social-Media-Algorithmen wohl von Ihnen denken? Kotzt es Sie nicht an, dass Sie abends nicht einschlafen, weil ihre überhitzten Hirnwindungen Karussell fahren?
Doch, jetzt, wo Sie es sagen, ja, das kotzt mich an.
Na also! Ich arbeite an einer Lösung für diese Volkskrankheit. Der Mensch entfernt sich doch immer weiter von seinen Wurzeln, wird psychologisch entfremdet von seiner Affenabstammung. Haben Sie schon mal Affen gesehen, die unglücklich waren, weil zu wenige Leute ihre Fotos auf Instagram geliked haben? Tragen Gorillas Holobrillen? Brauchen wir selbstfahrende Schimpansen mit 5G-Empfänger und Radarsensoren rundherum?
Also, Pavianhintern finde ich lustig.
Ha! Sie sind noch nicht ganz verloren. Ihre Reaktion ist ein gutes Zeichen.
Wollen Sie den Menschen wieder zum Affen machen?
Ein wenig, ganz recht. Nur so viel Affe soll drin sein, dass er erkennt, wie schön er es als Mensch haben kann, wenn er die Vorzüge der eigenen Dummheit erkennt.
Manch einer merkt aber an, dass zu viele Menschen schon von Haus aus zu dumm seien. Und etwa darob die falschen Politiker wählen. Deswegen wollen doch alle, dass Maschinen für sie denken!
Verwechseln Sie da mal was nicht. Was Sie beschreiben, ist natürliche Dummheit. Dagegen ist kein Kraut gewachsen. Ich spreche von künstlicher Dummheit, wenn man es so nennen will.
Wo bitte ist der Unterschied?
Ich will es im Jargon der modernen Internettechnologen ausdrücken: Die künstliche Stupidienz hat ein anderes Geschäftsmodell. Künstliche Dummheit ist serviceorientiert, man kann sie quasi „on demand“ in sein Gehirn laden. Natürliche Dummheit ist dagegen eine kostenfreie Flatrate mit Lifetime-Abo.
Klaro. Woran forschen Sie denn konkret im Augenblick?
Visuelle Schwachsinnsverarbeitung. Dabei geht es darum, ein möglichst dummes Abbild seiner selbst im virtuellen Raum zu erschaffen. Erinnern Sie sich an den Trend, als plötzlich alle diese kräuselnde Schnute auf Selfies gezogen haben? Das war ein Pilotprojekt von mir – Codename Duckface. Jetzt will ich etwas machen, wo sich die Leute Korken in die Nase stecken. Das macht einen wahnsinnig dummen Eindruck, ist aber vollkommen reversibel.
Klingt toll! Kann man sich da noch irgendwo bewerben?
Sie als Interviewer haben einiges an Potenzial, das muss ich sagen! Und ich freue mich: Gerade Journalisten als Multiplikatoren sind bei unseren Stupidienzversuchen gern gesehen. Kommen Sie, junger Mann, die Korken liegen im rückwärtigen Bereich!
Herr Professor Knörnschlund, wir danken Ihnen für dieses stupidiente Gespräch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?