Die Wahrheit: Allerley Tandeley
Neulich bin ich aus Versehen auf der Homepage eines Restaurants gelandet, in dem es Met, vor Griebenschmalz triefende Speysen und allerley Tandeley gab ...
... , zum Beyspiel langhaarige Gaukler mit Strumpfhosen und Krummhörnern, wahrlich keine Augenweyde. Die Neugier der jungen Ritterfans der Familie war geweckt, aber die meyl kam zum Glück mit einer Absage zurück, kein Holztischplatz mehr frey bei den irren Mittelalterfreaks. Ich hätte sonst einen Morgenstern mitgenommen, nur als Drohung: Schnauze, sonst Beule! Oder: Keine Minne, sonst Minna!
Nichts gegen einen guten Margherita mit Speckrand, man dreht das Glas kurz kopfüber in heißer Butter, dann drapiert man das Weiße vom Schinken oben drum herum. Auch gegen Streckbänke ist erst einmal nichts zu sagen. Aber was soll der Hexenprozessblödsinn? Vielleicht ist es auch ein persönliches Ding: Die Stadt, in der meine Wiege stand, hat sich jahrelang fast ausschließlich mit den gut erhaltenen Folterkammern der historischen Stadtmauer gebrüstet. Jetzt stellen wir den Buprä und diesen religiösen Dancehall-Künstler. Das ist doch vom Regen in die Traufe kommen.
Mottoessen ist ohnehin überbewertet. Dieselben Menschen, die bei Todesstrafe davor warnen, ein leckeres Irgendwas zu verspeisen, während der Fernseher läuft, weil man dann ja abgelenkt ist und die Verdauung nicht vernünftig zersetzen kann, zahlen ungerührt die Miete einer Dreißig-Quadratmeter-Einraumwohnung in Vlotho, um sich einen Abend lang von Seiltänzern, menschlichen Schwänen und als Teufel geschminkten Köchen bei ihrer Oldenburger Entenbrust stören zu lassen. Oder müssen zwischen Vor- und Nachspeise Mordfälle lösen, die noch nicht mal wirklich passiert sind. Da bietet doch jeder Autohof ehrlichere Erlebnisgastronomie: In Polen sah ich mal, wie ein Lkw-Fahrer nackt aus der Dusche zurück in den Pommesraum kam, weil er seine Jan III Sobieski hatte auf dem Tisch liegen lassen. Das war ein Erlebnis!
In Erich Kästners zukunftsweisendem Buch "Der 35. Mai oder Konrad reitet in die Südsee" nehmen die Schlaraffen im gleichnamigen Land ihre Nahrung in Form von Geschmackspillen zu sich, während Bilder davon an die Wand geworfen werden, etwa das Diapositiv eines Schweinebratens mit Klößen und Rotkohl. Man spart sich das Kochen, das Kauen, das Aufräumen und könnte, wenn man tatsächlich auf Varieté steht, ja der Show stattdessen ungeteilte Aufmerksamkeit schenken. Man kann es aber auch lassen.
Die einzig akzeptable Art von Akrobatik durfte ich neulich in einem Hamburger Familienzirkus miterleben, in dem vier der sechs Mitglieder ihre Blutsverwandtschaft stolz durch das Erbstück Hasenzähne signalisierten. Ich dachte zuerst, das gehört zur Clownsshow, aber die unlustige Hulahoop-Tänzerin trug die gleichen Hauer. Die Nummern waren facettenreich und beeindruckend, vom sich mit einer Wischmobbürste zur Frau verwandelnden Putzclown bis hin zu den einigermaßen dressierten Ziegenböcken. Ich hätte die Zuckerwatte gar nicht essen können, so gebannt war ich.
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