Die Wahrheit: Der dufte Bluffer
Der vielbeschworene Humor des Peer Steinbrück.
„Es soll kein langweiliger Wahlkampf sein. Es muss kein lustloser Wahlkampf sein. Es darf auch Humor, und es darf ein bisschen Witz dabei entstehen“, hatte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück Anfang Oktober angekündigt, bevor seine Pech- und Pannenserie begann. Unter hoffnungsfrohen Presse-Auspizien: „Peer Steinbrück war nie um einen Spruch verlegen“, so die Süddeutsche Zeitung. „Nicht als Ministerpräsident von NRW, nicht als Finanzminister – und auch als Kanzlerkandidat der SPD wird er es nicht sein.“
Bei der Wirtschaftswoche war er „bekannt für seinen trockenen, zuweilen sarkastischen Humor britischen Stils“. Der Tagesspiegel entdeckte „angelsächsischen Punch-Line-Humor“, das Handelsblatt ein „meckerndes Jack-Nicholson-Lachen“. „Aber das Erfrischende bei Steinbrück ist“, wusste man spätestens seit einem Cicero-Interview mit dem Weggefährten Michael Vesper, „dass er – wie übrigens auch die Kanzlerin – über sich selber lachen kann.“
Gründe genug hat er: Krachenden Wahlniederlagen als NRW-Ministerpräsident und Bundesfinanzminister. Laut Werner Heines exaktem Artikel in der November-Konkret verkündete er am Tag der Lehman-Brothers-Pleite im Bundestag, es gäbe „keinen Anlass, an der Stabilität des deutschen Finanzsystems zu zweifeln“.
Außerdem fand unter seiner Regie „die Bekanntgabe der Hypo-Real-Estate-Schieflage samt ihrer teuren Rettung just am 29. September 2008 statt – fünf Jahre nach der Gründung der Bank und genau einen Tag, nachdem laut Umwandlungsgesetz die Verjährungsfrist für Schadenersatzansprüche an die HRE abgelaufen war“.
Was auf Kosten der Steuerzahler vor allem die Privatbanken und Versicherungskonzerne entlastete, die den schonungslosen Levitenleser seitdem gern für Vorträge buchen. Da mimt er dann den gerade aus dem Maschinenraum des Machtbetriebs gekletterten hemdsärmeligen Reparaturmax, der sich’s nicht verkneifen kann, den Klugscheißern auf dem politökonomischen Oberdeck einen mitzugeben – eine lukrative Medienkarriere, die ihn in der laufenden Legislaturperiode fast völlig von Bundestagsreden abhielt.
Gleich drei (!) konkurrierende Steinbrück-Biografien sind inzwischen erschienen, die weitere Humoresken überliefern. Biograf Sturm beschreibt etwa Steinbrücks Groll über den falsch stehenden Schachtisch auf dem Titelfoto des Schmidt-Steinbrück’schen Buch/CD-Projekts „Zug um Zug“. Der Altkanzler ließ sich um 90 Grad verkehrt am Tisch nieder: „Noch Monate später wagen Freunde Steinbrücks nicht, ihn nach dem verrückten Tisch zu fragen.“
Ältester Steinbrück-Mentor ist laut Biograf Goffart aber nicht Schmidt, sondern „der 99-jährige Ruhrgebietspatriarch“ Berthold Beitz, der ihn 2009 in den Krupp-Aufsichtsrat holte.
Wunderbar lachhaft ja auch sein eigentlicher Autoritätshintergrund, die Spareinlagen-Garantie mit Angela Merkel 2008. Steinbrück darüber zwei Jahre später zum Spiegel: „Es gab keine Rechtsgrundlage und keinen parlamentarischen Rückhalt. Ich wundere mich bis zum heutigen Tag, dass die Parlamentarier hinterher nie gefragt haben: Um Gottes willen, was habt ihr da eigentlich gemacht?“
Inzwischen spricht er – zum Beispiel bei einer Vorlesung an der NRW-School of Governance der Universität Duisburg-Essen am 21. Juni 2011 – von „jenem merkwürdigen Auftritt an einem Sonntag, dem 5. Oktober, um 14.30 Uhr, kurz bevor der Heinz-Rühmann-Film mit Lieselotte Pulver begann“. Welcher Zuhörer hätte auch das passende Fernsehprogramm zur Hand, um nachzuprüfen, dass so ein Film an diesem Tag gar nicht lief? Großer Bluff, kleiner Bluff, bei solchen Volten kommt dann der behauptete „britische Humor“ zum Einsatz.
Der ist allerdings eine Lachnummer, nämlich eine eigentümliche Mischung aus ungenau hingesäbelten Behauptungen, seltsam unverhältnismäßigen Schlüssen und unerfindlichen Beliebigkeiten. „Nicht immer passen die Ausdrücke genau zueinander“, so der Literaturwissenschaftler Oliver Lubrich und nennt als typische Stilblüte Steinbrücks Absicht, „Leitplanken auf der Zeitachse etwas zu versetzen“. Nun sind Steinbrücks Knallschoten nicht vorrangig humoristisch, sondern, wie bei allen Politikern, Duftmarken, mit denen er in der Öffentlichkeit seine Zuständigkeitsreviere markiert. Da kann man die Pointe notfalls auch vortäuschen.
Das ergibt oft Witz-Attrappen seltsam stringenzfreier Bauart: „Steinbrück frisst kein Hundefutter, es ist nicht auszuschließen, dass er Vegetarier ist“ oder „Die Pläne von Schwarz-Gelb sind fiskalpolitischer Schwachsinn und ein Pausentee für die FDP auf dem Weg zur nächsten Wahl“, lauten solche Beispiele.
Seine Aufgabe als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen sah Steinbrück darin, „eine Mischung aus Tarzan, Einstein und Inge Meysel“ abzugeben, seine Hamburger Herkunft umschrieb er mit „Ich bin ein Kabeljau“. Manches ist reine Irreführung: „Diejenigen, die so schlau sind, das sie nicht zur Wahl gehen, werden hinterher von Leuten regiert, die noch dümmer sind als sie.“
Wirklich lustig an Steinbrücks Humor ist allerdings die klischeeinteressierte und in jedem Fall noch zehnmal unterscheidungsunfähigere Journaille, die sein gedankenschludriges Gemoser unentwegt als angelsächsischem Feinsinn verscherbelt. Obwohl er sein Geheimnis längst verriet: „Auf die dänische Verwandtschaft führt Steinbrück eine gewisse Leichtigkeit und den starken Hang zur Ironie, bisweilen zum Sarkasmus zurück, für den er bekannt ist und der in seiner Familie gepflegt wird“, schreibt die FAZ. Dänischer Humor ist das nämlich, got it?
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