KOMMENTAR: Die Wahrheit ist nie billig
■ Der Fall Stolpe ist ein Signal zur rechten Zeit
Die Aufklärung der Stasi-Last ist unumgänglich; allein, um den DDR-Opfern Gerechtigkeit zu verschaffen. Der Fall Stolpe ändert daran nichts. Aber er ist ein erneutes Signal, wahrzunehmen, wie vielschichtig das Leben in der DDR war, wie kompliziert das Gemenge des richtigen und falschen Lebens war und wie zweifelhaft die Maßstäbe zur Wahrheitsfindung immer noch sind. Der spürbar werdende Widerstand gegen die Aufarbeitung ihrer Vergangenheit kommt in Ostdeutschland auch daher, daß die Menschen fühlen, hier werde mit rigoroser Siegergeste von Wessis diktiert, was Wahrheit ist. Das bringt eine Trotzhaltung hervor, die wiederum von Wessis als Unwillen zur Vergangenheitsbewältigung mißverstanden wird. Die Pose des unerbittlichen Richters ist für Westdeutsche billig zu haben. Ist dies zu erklären aus der Sorge, selbst zu versagen wie die Vätergeneration, die nach 45 an der Nazi-Aufarbeitung gescheitert ist? Bislang sind die drei Schuldkategorien der Alliierten für Nazi-Täter jedenfalls fast filigran zu nennende Instrumente gegenüber der derzeitigen Guillotinen-Methode. Der Fall Stolpe macht klar, wie schmal der Weg zwischen Verrat und Selbstbehauptung war. Manche Kirchenleute, wie der evangelische Superintendent und spätere ostdeutsche CDU-Generalsekretär Kirchner, sind dabei abgestürzt; beim letzten DDR-Ministerpräsidenten de Maizière muß dies trotz Stasi-Karteikarte wohl immer noch als nicht zweifelsfrei geklärt gelten. Kann man Stolpe den Vorwurf ersparen, viel zu spät seine Kontakte mit der Stasi bekanntgemacht zu haben? Die Aufklärung muß weitergehen, aber der Wahrheit kommt man nur näher über den schweren Weg, der keine schnellen Verurteilungen zuläßt, der Zeit braucht und genaues Hinsehen — und westliches Einlassen und Selbstkritik. Gerd Nowakowski
Siehe auch Seiten 4 und 12
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