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Die Taiga im Kinosessel „erfahren“

■ 501 Minuten lang eine Reise durch die Taiga erleben in Ulrike Ottingers Film

„Eine Reise ins nördliche Land der Mongolen“ ist der Untertitel des neuen Films der Berliner Regisseurin Ulrike Ottinger. Was zeichnet einen Reisenden aus? Vielleicht, daß er sich, im Unterschied zum Programmpunkte abhakenden Touristen, gelassen treiben läßt in einer fremden Kultur, allein getrieben von der Hoffnung, die fremde Atmosphäre aufzusaugen und sich an ihr zu bereichern. So gesehen ist Taiga eine - wenn auch nur im Kino stattfindende - Reise im besten Sinne.

Läßt man sich auf diese Reise zu und mit zwei Nomadenstämmen der nördlichen Mongolei ein, wird man von einer neugierigen, aber sehr unaufdringlichen und sich ihrer Fremdheit bewußten Kamera geführt. Ulrike Ottinger hat das Leben der im Tal lebenden Darkhad und der in den Bergen Rentiere züchtenden Sojon Urijanghai nicht in Szene gesetzt, sondern begleitet.

Zusammen mit den Nomaden hat sie ein weites und schönes Land bereist, in dem die Stille und die Einsamkeit die dort lebenden Menschen zu prägen scheinen. Ruhe und Gelassenheit übertragen sich beim Zusehen: Kurze Schnitte oder hektische Schwenks kommen nicht vor. Der 501 Minuten lange Film nimmt sich alle Zeit der Welt und wird doch nicht langweilig.

Zwei Monate hat das dreiköpfige Filmteam die beiden Völker begleitet, beobachtete unter anderem den Aufbruch ins Winterlager und einen Umzug in die Stadt. Vornehmlich ist von den Verrichtungen des alltäglichen Lebens zu erfahren, von dem sich die Nomaden zunächst gar nicht vorstellen konnten, daß Fremde sich dafür interessieren: von der Jagd, der Essenszubereitung und dem Zustand, unterwegs zu sein. Auch besondere Ereignisse und Rituale wie schamanistische Seancen, Hochzeiten und Treffen an mythischen Orten werden festgehalten, aber nicht verklärt. An diesen Traditionen scheint sich seit Jahrhunderten wenig geändert zu haben, auch wenn durch den Einfluß des „Fortschritts“ Brüche zu erahnen sind.

Die unverbrauchten Aufnahmen haben eine fast heilsame Wirkung: Menschen mit ihren Rentieren ziehen durch die Steppe, vorbei an grauen Findlingen, durchqueren im Morgengrauen auf hölzernen Floßen nebelverhangene Gewässer. Geredet wird selten. Der Film kommt fast ohne erklärende Kommentare aus. Man könnte fast man vergessen, daß man nicht wirklich mit der Runde am Feuer sitzt und den Ringern beim Schaukampf zusieht, sondern im Kinosessel. Zum Glück stellt dann hin und wieder jemand eine Frage wie: „Also Freunde, habt Ihr schon angefangen, Bilder zu machen?“ Birgit Maaß

„Taiga“ wird in 3 Teilen gezeigt, heute, 21 Uhr, Premiere Teil 1 im Zeise-Kino mit Ulrike Ottinger

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