: „Die Streikfront stand überhaupt nicht mehr“
Wenn ÖTV-Funktionäre hinter verschlossenen Türen Klartext reden/ Interne Streikauswertung der Bremer Vertrauensleute ■ Aus Bremen Dirk Asendorpf
„Wir haben Fehler gemacht“, gestand einer, der es wissen muß. Holger Wohlleben, Bremer ÖTV-Bezirksvorsitzender, sprach am Mittwoch dieser Woche Klartext, als sich die 70 Delegierten der rund 1.000 Bremer ÖTV-Vertrauensleute zur internen Beratung über die Folgen des Tarifkonflikts im öffentlichen Dienst versammelt hatten. „Aber alle diese Fehler waren demokratisch legitimiert“, ergänzte Wohlleben, der als Bremer Vertreter in der Großen Tarifkommission der ÖTV dem Tarifkompromiß zugestimmt hatte, den die Basis in der Urabstimmung anschließend ablehnte. Diese Niederlage habe die ÖTV in eine „äußerst kritische Lage“ gebracht, so Wohlleben, aber eine Fortsetzung der Arbeitskampfes und neue Verhandlungen seien trotzdem jetzt einfach „nicht mehr möglich“.
Nachdem Wohlleben mit dieser Argumentation keinen einzigen der versammelten ÖTV- Funktionäre zum Applaus verleiten konnte, versuchte es der Bremer Streikleiter, ÖTV-Sekretär Holger Aebker, mit der Versicherung, daß eine Fortsetzung der Arbeitskampfes die ÖTV sogar in noch größere Schwierigkeiten gebracht hätte, als der schnelle Abschluß auf dem Niveau des Schlichterspruches.
„Bei den Bremer Müllwerkern wäre die dritte Streikwoche ein Desaster geworden“, versicherte Aebker, „da stand die Streikfront überhaupt nicht mehr.“ Ein anwesender Vertrauensmann aus dem Bereich der Stadtreinigung widersprach ihm nicht. Und mit einer Unterstützung der IG Metall sei „frühestens in der vierten Streikwoche“ zu rechnen gewesen, so Aebker. Die gegenteilige Behauptung in seiner großen Streikrede auf dem Bremer Marktplatz sei lediglich „Geklapper“ gewesen.
Spätestens dieses Bekenntnis brachte dann doch noch etwas Schwung in die bis dahin eher resigniert zuhörenden Vertrauensleute. „Bis vor fünf Minuten habe ich dir voll vertraut“, rief ein ÖTV-Vertrauensmann aus dem Sozialbereich, „deine tolle Rede hatte uns damals mächtig Mut gemacht, und jetzt hast du alles gar nicht so gemeint.“ Eine Kollegin ergänzte: „Im Streik haben wir gestanden wie eine Eins, aber jetzt bekomme ich immer mehr das Gefühl, daß wir in dem Streik nur eine Dispositionsmasse waren.“ Wie solle sie da ganze ÖTV-Betriebsgruppen von ihren Austrittsplänen wieder abbringen: „Durch den Streik hatten wir 1.200 Neueintritte. Es droht die Gefahr, daß wir bald weit mehr Austritte haben werden.“
Doch diesen Pessismismus wollte Bezirksvorsitzender Holger Wohlleben nicht gelten lassen: „Es hat keinen Sinn, daß wir den klasse Arbeitskampf jetzt endgültig im Frust enden lassen. Wir sollten lieber diskutieren, wie wir verhindern können, daß der entstandene Schaden noch größer wird. Zurückdrehen können wir nichts mehr, wir müssen jetzt positiv denken.“ Zumindest die 70 Bremer delegierten Vertrauensleute konnten und wollten diesem Umschwung so schnell noch nicht folgen. „Wir sollen jetzt weichgeredet werden“, vermutete einer von ihnen unter Beifall, „aber erst mal wollen wir Konsequenzen sehen— inhaltlich und personell.“
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