piwik no script img

Die Stimme aus der dunklen Nacht

■ Cora Frost präsentiert im Schmidt ihr neues Liederprogramm um den „Starimbiß“

Die Nacht war nicht freundlich zu ihr, und der Morgen ist es auch noch nicht sehr lange. „Ich hatte heute Nacht Alpträume, es war so eine komische Nacht, wo man das Gefühl hat, man verliert alles und ist dann froh, wenn es wieder Tag ist. Und mein Zimmer ist ja sehr schön, aber es riecht nach den Lilien, die im Hotelflur stehen, und das Zimmer riecht irgendwie nach Männerschweiß. Als hätte sich da jemand vier Tage eingesperrt.“ Jetzt bestellt sie erst einmal ein Brötchen, ein Ei, ein Müsli, Tee und Orangensaft und lächelt schon.

Von der Cora Frost am Frühstückstisch zur Bühnenfigur mag es ein weiter Schritt sein – oder gar keiner. „Das war so eine Reise zum Kern, über Rollen. Die ersten Abende hatten eher etwas Theaterhaftes: Ich stelle eine Sängerin dar. Zuerst ging es thematisch um einen klassischen Liederabend, da habe ich sehr hoch gesungen, das zweite waren Männerlieder, und da habe ich sehr tief gesungen und auch viel gebrüllt. Der dritte war dann Chansons für Chansonetten. Dabei konnte man sich früher doch keine Chansonabende ansehen – irgendjemand vergewaltigt wieder Brecht oder zieht sich Netzstrümpfe an und tut verrucht und leidet, weil er zu große Hände hat.“ Erst beim vierten Abend gestaltete die Frost – ermutigt von Tim Fischer – eigene Texte: „Wir kennen uns aus der Zeit als ich „Nachtsalon“ in Berlin gemacht habe. Wir haben uns immer getroffen, und wenn Tim betrunken war, hat er mein Lied „Paula Maus“ gesungen. Erst der Kleine hat mich auf die eigenen Texte gebracht, weil er sie so überzeugt intonierte.“

Und da ist sie jetzt: beim fünften Abend, den sie ab heute im Schmidt präsentiert: Starimbiß. „Gerd Thumser hat die Musik komponiert. Er komponiert so Landschaften, wie ein Filmkomponist. Uns verbindet eine gewisse Form der Depression. Alle schreiben immer, der lustige, drollige dicke Gerd Thumser, und ihr habt doch nichts gemeinsam. Aber wir sind schon seelenverwandt.“

Der Komponist kennt die Nachtgestalten aus der Feder von Cora Frost, ihre Welt der Einzelgänger, gruppiert um den Imbiß. „Der Imbiß ist ein kleiner, fettiger Planet, um den Leute und Geschichten kreisen. Hier ist jeder ein Star. Das ist das Grundthema. Zum Beispiel gibt es die Geschichte von dem Mädchen aus der Stadt, die sich ein Haus baut, und auf dem Hügel gegenüber wohnt eine Bäuerin, die sich in das Mädchen aus der Stadt verliebt. Sie sitzt dann im Kuhstall und melkt die Kühe und singt zu Maria, die ihr helfen soll. Oder ein Lied über Sehnsucht nach Geld im Frühling, wenn es so nach Beton riecht und man ganz melancholisch wird, weil man weiß, man wird nie Geld haben. Weißt du, dieser Geruch, wenn Regen auf Beton fällt. So wie man zu jeder Liebschaft ein bestimmtes Essen hat. Himbeerjoghurt etwa... Also, man ist ja auf der Suche nach Liebe und was Warmem zu Essen, das ist der Grundtenor - auch am Starimbiß.“ Ihre Texte schreibt die Frost immer, wenn sie Zeit hat. „Ich hab' das Bedürfnis zu schreiben, aber es geht nicht, weil ich keine Zeit habe. Dann sammele ich immer.“ So entstehen die Geschichten schneller, als sie sie festhalten kann: In ihrem Kopf ist sie nicht nur beim nächsten Programm, sondern auch schon beim übernächsten.

Die Cora Frost von heute, jetzt, dem Starimbiß, die auf der Bühne eher kühl damenhaft aussieht und morgens beim Frühstück viel jünger, die steht manchmal vor der Cora von früher und wundert sich: „Singen praktiziere ich seit ich 24 war, da hatte ich das erste Programm. Ich muß immer sehr darüber lachen, weil man damals so hemmungslos war. Jetzt überlegt man sich alles zweimal. Jetzt fängt man ernster an – aber eigentlich stimmt das auch nicht, denn wenn man ein Programm länger spielt, treibt man doch wieder groben Unfug damit.“

Ihre lapidare Lebenserfahrung schließt inzwischen auch das (kaum angedeutete) Älterwerden ein. „Mit jedem Programm wirst du älter, das ist manchmal ein Schock, denn wenn du älter wirst, hast du keinen Trost mehr. Wenn du jünger bist, meinst du, hinter jedem Mülleimer winkt die große Überraschung.“

Vor ihren Alpträumen aus der Nacht braucht sie tagsüber trotzdem keine Angst zu haben. Ihre Facetten sind immer reichhaltiger geworden, ihre Geschichten – auch wenn sie meint, nicht ernster zu sein – immer vielschichtiger, und trotzdem leicht, in ihrem Balanceakt zwischen Komik und Tragik. „Und dann“, meint sie, „gibt es da jene Lieder, die ich inzwischen nicht mehr singen kann. Und die singt dann der Tim. Und der ist jetzt so alt wie ich damals.“

Thomas Plaichinger

„Starimbiß“, von heute bis Sonntag im Schmidt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen