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■ Die Stasi zur Wahl von Diepgen:„Geschickter Taktiker“

Wesenszüge von Diepgens Charakter sind: Nüchternheit, Anpassungsfähigkeit, Bescheidenheit, Unkompliziertheit, Gradlinigkeit, Unbekümmertheit (sein Wahlspruch: „Nicht bange machen lassen!“).

In den fünfziger Jahren lag Diepgens Stärke weniger im großen Auftritt, da ihm sein damals mangelndes Redetalent kaum parlamentarischen Erfolg ermöglichte. Er hat viel Energie darauf verwandt, diese Schwäche abzustellen. Von seinen Freunden und auch Gegnern wird er als ein hart arbeitender und kluger politischer Sachkenner eingeschätzt, dem aber keine unverwechselbare persönliche Ausstrahlung eigen ist. Eher wirkt er als ein Musterbeispiel von Selbstdisziplin und gebremsten Gefühlen. Nicht zuletzt deshalb wurde er in der Öffentlichkeit als „gesichtslos“ und „Mann mit der Blässe“ bezeichnet.

Als ein besonnener und vorsichtiger Mensch bildete sich bei ihm immer mehr ein äußerst korrektes Herangehen an komplizierteste Fragen, gepaart mit gründlicher Analyse, flexibler Betrachtungsweise und stets sachlichen Argumenten heraus. Diepgen ist ein geschickter Taktiker, der die Konfrontation nicht sucht, Auseinandersetzungen sehr zielbewußt, überlegt führt und sie erst dann auf die Spitze treibt, wenn er sich seines Erfolges sicher ist.

Dies brachte ihm in der CDU verschiedentlich den allerdings nicht öffentlich vorgetragenen Vorwurf des Opportunismus ein (er schiele nach Mehrheiten). Seine politische Entwicklung und die ehrgeizigen Karriereabsichten schärften bei ihm – verbunden mit dem Erkennen jeweiliger Kräfteverhältnisse – den Blick für das politisch Machbare. Einer totalen Konfrontation beziehungsweise dem Erreichen der Risikogrenze zog er in der Vergangenheit stets die Suche nach einer ausbalancierten Lösung vor.

Sein karrierebewußtes Verhalten drängte ihn in jene Verantwortungsbereiche, in denen ein breiter Konsens für die politische Arbeit innerhalb der Partei, der Fraktion und im Senat gegeben war und unterschiedliche Auffassungen und Persönlichkeiten nicht durch ihn in die Schranken gewiesen werden mußten, sondern sich weitestgehend selbst blockierten.

Parteifunktionen und Ämter nahm er bewußt unter dem Dach der politischen Hauptverantwortung anderer Persönlichkeiten wahr und „kämpfte“ Entscheidungen weniger nach Prinzipien und klar umrissenen Kriterien als vielmehr durch Aushandeln von Kompromissen und Organisieren von „Gegengeschäften“ durch. Kaum auf Maximalpositionen beharrend – schon gar nicht bei unmittelbaren persönlichen Interessen – vermied er es, sich ausgesprochene Feinde zu machen.

Auszug aus: „Personenauskunft Eberhard Diepgen, Regierender Bürgermeister von West-Berlin“, Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Berlin, Abteilung XV, vom 13. Februar 1986.

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