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Archiv-Artikel

Refrains aus der Pfeffermühle: Die „Sharonas“ aus Hamburg in der Molotow-Arena Die Stadionrocker von nebenan

In einem echten Rocker-Plattenschrank sammelt sich über die Jahre so manches. Alben, die man jeden Tag hören kann. Oder Platten, die nur im Regal gut wirken. Ein paar angesagte Sachen, viel zeitlos Gutes. Und dann steht da noch so Kram, meistens ganz hinten, oder ganz unten, der ist ein wenig peinlich. Aber sich von diesen Scheiben trennen? Niemals. Sie offen hinstellen oder zugeben, dass man sie hat? Auch nicht. Sie hören? Öfters, aber nie unter Zeugen.

Diese Leichen liegen nicht im Keller, sondern im Musikregal. Def Leppard zählt dazu, Led Zeppelin manchmal, Guns n‘ Roses immer, Van Halen auch. Stadionrock eben. Nicht wirklich cool. Finden eigentlich nur Leute gut, die Motorrad fahren und ein dickes Schweißband tragen, auf der Stirn oder ums Handgelenk.

Svaen Lauer (circa 28) kleidet sich besser: Ein T-Shirt, das eng sein darf, eine in Würde gealterte Jeans, struppiger Kurzhaarschnitt, er sitzt auf einem Gartenstuhl im Karolinenviertel. Tochter Carla-Lotta hockt ihm auf den Knien und lacht. Heute kam er zu Fuß, sonst fährt er einen Familien-Van. Die Sonne scheint. Er sagt: „Wir spielen Stadionrock, am Freitag im Molotow. Mit Bass, Gitarre, Schlagzeug, Tamburin.“

Wir, das sind außer Svaen noch Justin und Daniel Balk sowie Arne Cordes. Weil die Sharonas noch nicht in der Color Line Arena spielen, sagen sie zu ihrer Musik lieber „Refrain-Rock“. Svaen interpretiert: „Ich meine, warum komponierst du einen Song, wenn du nicht aufs Ganze damit gehst?“ „Don‘t bore us, get to the chorus“ heißt eine Textzeile der Sharonas. Herrn Lauers Tochter klettert über seinen Unterarm. „Wir wollen unterhalten. Wir wollen die Leute rocken. Die sollen kapieren, was da auf der Bühne abgeht. Und am besten mitmachen.“ Carla-Lotta entleert Salz-, Zucker- und Pfeffermühlen sorgfältig und verteilt alles auf der Tischoberfläche.

Die Sharonas stellen sich hin und machen all das, was auf ihren Secret- Lieblingsplatten, den Leichen in der Musiksammlung, zu hören ist. Mehrminütige Soli, nerviges „Na-na-na“-Geträller, breitbeinige AC-DC-Songeröffnungen, durchgestylte Texte, Gitarrenverzerrer wie startende Flugzeuge, Hooklines breit wie Autoreifen. Noch Fragen? Rockmusik als Samstagabendshow.

Ziemlich gut sortiert war Svaens Plattensammlung wohl schon immer – dem Sharonas-Sound standen nicht Axl Rose und seine Jahrmarktcombo, sondern die Punkrock-Urahnen MC5, Led Zeppelin oder der Mod-Beat um The Who Pate. Manchmal hat ihr Klang mehr Jahre auf dem Buckel als sie selbst. Zum szenigen Abhäng-Gedudel für den Rocktheorie-Stammtisch taugt es trotzdem nicht. Da müssen halt weiter Mando Diao und Franz Ferdinand laufen, oder die Strokes. So ganz weit weg von deren Klangfarbe stehen Svaen und die vier anderen zwar gar nicht rum. Nur viel breitbeiniger.

Auf der Bühne wirft Herr Lauer das Mikrofon wie ein Lasso, turnt wie der chinesische Staatszirkus, macht posige Ansagen. Dann passieren ihm Sätze wie „Hymnen, wisst ihr? Habt ihr was gegen Hymnen?“ Nee nee, zumindest nicht gegen „Let it roll“, Mr. Sharonee. Svaen scheint die Refrainrock-Welt gerade mindestens so enthusiastisch zu entdecken wie Carla-Lotta die Ausstattung des Cafés rearrangiert. „Manchmal ist es mit dieser Band, als sei ich wieder 15.“ Die erste Platte gibt es erst Anfang 2005, und Svaen streicht sich die Auftrittstermine noch rot im Kalender an.

Vielleicht ist es Sentimentalität, solche Musik zu machen. Solche, die es irgendwie komplett schon mal gab. Vielleicht ist es, wie einer Langspielplatte den Staub aus den Rillen zu pusten und sich schon auf das leise Knacken zu freuen, bevor die ersten Töne von „Stairway To Heaven“ aus den Boxen rieseln. Vielleicht musiziert hier auch die Vernunft des gesetzten Rockmusikerdaseins – alle haben, in anderen Bands, schon manchen Verstärker auf- und wieder abgebaut. Vielleicht ist das alles nicht neu. Aber verdammt cool ist es auf jeden Fall. Und das ohne Bandana über den Augen. Markus Flohr

Freitag, 23 Uhr, Molotow