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Archiv-Artikel

Die Söhne wollen herrschen

Gefolgsleute kaufen, den Wahlkampf mit Staatsgeldern bezahlen – die Kandidaten Bemba und Kabila tun, was ihre Väter ihnen vorgelebt haben

Noch vor einem halben Jahr galt Bemba als politisch tot, nun kandidiert er Joseph Kabilas Wahlkampfparole lautet: „Ich wähle Joseph Kabila“

AUS KINSHASA DOMINIC JOHNSON

Brandgeruch steht zwischen den rußgeschwärzten Wänden, auf den Fluren treibt verkohltes Papier. Im Hinterhof stehen ein ausgebranntes Auto und die Reste eines Tresors. Niedergeschlagene Angestellte suchen nach Verwertbarem. Das hier waren die Büros zweier Schlüsselorganisationen für Kongos Friedensprozess: der Medienbehörde HAM (Haute Autorité des Medias) und der Menschenrechtsbehörde ONDH (Observatoire Nationale des Droits de l’Homme).

Radikale Anhänger des kongolesischen Oppositionsführers Jean-Pierre Bemba haben sie verwüstet. Am Donnerstagnachmittag zogen sie plündernd und zündelnd durch das zweistöckige Gebäude, während Bemba selbst im nahen Sportstadion Tata Raphael vor 50.000 Menschen die Abschlussveranstaltung seines Wahlkampfs abhielt. „Die Bemba-Leute zogen die Straße entlang, wir haben ihnen von den Balkons aus sogar zugewinkt“, erzählt HAM-Mitarbeiter Désiré Kazadi. „Dann brachen sie plötzlich das Tor auf. Wir konnten uns nur retten, indem wir hinten über die Mauer kletterten. Es war eine große Menschenmenge, sie strömten einfach alle hinein. Jetzt ist alles kaputt.“

„Ein gezielter Akt der Einschüchterung“, wettert HAM-Chef Modeste Mutinga, bekanntester Verleger des Kongo, später auf einer Pressekonferenz. Die Brandlegung markiert einen Tiefpunkt des Wahlkampfs kurz vor Kongos historischen Wahlen am morgigen Sonntag. Mit einem gigantischen Triumphzug vom Flughafen bis ins Stadtzentrum entlang dem Boulevard Lumumba hatte Bemba, früherer Rebellenführer und zuletzt wichtigster Vizepräsident in Kongos Allparteienregierung unter Staatschef Joseph Kabila, seinen Anspruch auf den Sieg angemeldet. Sämtliche Busse der Stadt schienen von begeisterten Fans requiriert zu sein, die teils nackt auf den Busdächern tanzten und sangen, blaue Fahnen von Bembas Kongolesischer Befreiungsbewegung MLC schwangen und Kabila wortwörtlich zum Teufel wünschten.

Es war wie ein endloser Karneval der Kulturen, nur mit immer derselben Kultur. So ziehen sonst nur Staatschefs, Putschisten oder Kriegsgewinner über den Boulevard Lumumba. Die Stadtautobahn führt direkt hinein ins Herz von Kinshasa, durch die größten Armenviertel der kongolesischen Hauptstadt.

Noch vor einem halben Jahr galt Bemba als politisch tot, diskreditiert durch Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen seiner MLC-Rebellen vor fünf Jahren und geschwächt durch den Austritt seiner klügsten Mitstreiter. Nun hat er sich wie aus dem Nichts zum stärksten Herausforderer Kabilas entwickelt, dessen Hoffnungen auf einen leichten Sieg so gedämpft wurden. Niemand sonst bringt in Kinshasa solche Menschenmassen auf die Beine. Keiner außer Kabila hat so viele so große Wahlplakate, auf denen Bembas rundes Gesicht aus den Umrissen des Kongo herauslächelt. Seine Parole: „Sicherheit, Gerechtigkeit und Entwicklung“.

Auf den Bemba-T-Shirts mit dem Parteilogo, einer Ameise, steht „Mit Gott werden wir siegen“. Kabilas Gegenparole lautet lapidar „Ich wähle Joseph Kabila“. Bemba ist ein Demagoge, Kabila scheut die Öffentlichkeit. Bemba streichelt in seinen freien Reden die Volksseele, Kabila tritt auf wie sein eigener Stellvertreter und gibt sich als steifer Kandidat der Ordnung. Bemba ist das Volk, Kabila der Staat.

Auf diese Weise hat der einstige Rebellenchef selbst Anhänger des früheren Oppositionsführers Etienne Tshisekedi auf seine Seite gezogen, die aber offiziell noch zum Wahlboykott aufrufen. Die katholische Kirche hat ihren Boykottaufruf am Donnerstag bereits zurückgezogen.

Kabilas Wahlkampfabschluss gestern war viel diskreter als der Bembas: Ankunft am Flughafen und eine Rede auf dem nahe gelegenen Messegelände. Keine jubelnden Massen, nur ein paar angeheuerte Straßenkinder.

Für eine solch historische Wahl wie die im Kongo ist diese Polarisierung ein willkommener Fortschritt nach einem eher drögen Wahlkampf. Die Masse bedeutungsloser Parolen und uninspirierter Transparente an jeder freien Fläche Kinshasas verdeckte nur mühsam die Tatsache, dass die Großen der Politik sich eher daraus fernhielten. Nun sortieren sich die Lager, es wird spannend. Und es passt zur Diebstahlkultur von Kongos politischer Klasse, dass beiden Spitzenkandidaten ihr Duell mit Kongos Reichtümern bezahlen. Kabila finanziert seinen Wahlkampf angeblich durch das systematische Abzweigen von Zoll- und Steuereinnahmen und durch Zahlungen von Bergbauinvestoren in seiner Heimatprovinz Katanga. Bemba galt früher als tief in den Schmuggel mit Diamanten, Kongos wichtigstem Exportgut, verwickelt, er kann den langjährigen Chef von Kongos staatlicher Diamantenbehörde zu seiner Wahlkampfallianz zählen. Beide können es sich leisten, Gefolgschaft zu kaufen. Viel wird in Kinshasa erzählt von gekauften Wahlkampfkundgebungsteilnehmern oder von Demonstranten, die jeden Tag das Hemd eines anderen Kandidaten tragen.

Dies ist ein Wahlkampf ohne Skrupel, dessen dunkle Seite immer wieder aufscheint: Gewaltbereitschaft, Fremdenfeindlichkeit. „Kabila ist kein Kongolese“, ist die häufigste Antwort in Kinshasa auf die Frage, warum man Bemba wählen wolle. Weithin bestehen Zweifel daran, dass Joseph Kabila – der 2001 nach der Ermordung seines Vaters, Staatschef Laurent-Désiré Kabila, als 32 Jahre junger Armeegeneral an die Staatsspitze gehievt wurde – wirklich dessen leiblicher Sohn ist. Oder ein Adoptivkind ruandischer Herkunft. „Kabila ist keiner von uns“, schimpft ein Zuschauer des Bemba-Triumphzuges. „Er lässt uns leiden, weil er nicht zu uns gehört. Wenn er zu uns gehören würde, würde er das nicht zulassen.“ Kurz darauf kommt ein offener Lastwagen vorbei, auf dessen Dach die Jungs singen: „Wir waren für Kabila, jetzt haben wir gemerkt, dass er Ruander ist. Er soll weg!“

Bemba spielt gerne mit diesem Verdacht, trotz der Gefahr, die er birgt. 1998, zu Beginn des zweiten Kongokrieges, gab es in Kinshasa massive Pogrome gegen Tutsi und „Ruander“. „100 Prozent Kongolese“ lautete Bembas erste Wahlkampfparole, bevor die Medienbehörde HAM damit begann, Bemba-nahe Medien wegen rassistischer Hetze zu verbieten. Auf seiner Großkundgebung im Stadion wird der Volkstribun noch deutlicher. „Wer hat die Ruander ins Land geholt?“, fragt er unter tosendem Applaus. Die Antwort muss er nicht geben: Es war Kabila, der 1996/97 mithilfe Ruandas Diktator Mobutu stürzte. „Wer hat geplündert? In Kinshasa Häuser beschlagnahmt? Gestohlen? Die Ruander! Die Ruander! Die Ruander!“ Die Menge tobt. Er selbst, sagt Bemba, habe zu den Waffen gegriffen, weil Kabila und Ruanda den Kongo unter sich aufgeteilt hätten.

Tatsächlich war es 1999 eine Idee der ugandischen Armee, Bemba als loyalen Rebellenführer im Norden des Kongo in Konkurrenz zu den proruandischen Rebellen weiter südlich aufzubauen. Die Wahl fiel auf Bemba, weil sein Vater unter der Mobutu-Diktatur einer der reichsten Geschäftsmänner des damaligen Zaire war. Bemba Saolona kontrollierte weite Teile der zairischen Wirtschaft, sein Sohn erbte die Geschäftsverbindungen. Die waren nützlich im Krieg – von Militär verstand der frisch gebackene Rebell jedoch nichts.

Es ist alles andere als ein Paradox der seltsamen Demokratisierung des Kongo, dass die aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten beide ihr politisches Gewicht ihren Vätern verdanken. So war das Gerede vom fälligen Generationswechsel in Kongos Politik, den Kinshasas Intellektuelle seit Jahrzehnten fordern, nicht gemeint.

Könnte die Polarisierung zwischen Bemba und Kabila auch zu eine militärischen Konfrontation führen? Beide verfügen über Privatarmeen, Bembas Großkampftag lieferte schon mal einen Vorgeschmack. Während er den Boulevard Lumumba hinabmarschierte, ging sein Büro im Stadtzentrum in Flammen auf – ein Anschlag, sagen Bembas Anhänger, ein Unfall beim Kochen, sagen Anwohner. Das Feuer setzte ein Munitionslager in Brand, woraufhin es minutenlang heftige Explosionen gab. Zwei Kleinkinder verbrannten.

Als sich die Nachricht verbreitete, entlud sich vor dem Raphael-Stadion, wo Bemba sprach, die Gewalt. Zwei Bemba-Soldaten und zwei Polizisten sollen getötet worden sein. Neben dem Gebäude von HAM und ONDH ging ein Studio des bekannten Sängers Werrason, der für Kabila ein Wahlkampflied geschrieben hat, in Flammen auf, auch eine Polizeistation und die Kirche eines fundamentalistischen Predigers.

Scherben übersäen seither die Straßen des nahen Stadtviertels Matonge, eigentlich Kinshasas Vergnügungsviertel. Schwitzend und singend trägt eine Gruppe Demonstranten einen angeblich toten Polizisten davon. Im Park vor dem Stadion brennt es lichterloh, da rast ein Wagen von Kabilas Präsidialgarde um die Ecke, die Menge flieht in Panik in die nächsten Straßengräben und Hauseingänge.

Aber die Gardisten schießen nicht. Sie lachen und winken und rufen: „Lauft nicht weg! Keine Angst! Wir werden ihn stürzen!“ Die Leute schauen sich verdutzt an. Kommt die größte Gefahr für Kabila etwa aus den eigenen Reihen? „Wir wollen die Macht auf demokratischem Wege“, donnert währenddessen Bemba drinnen im Stadion, „nicht mit einem Putsch.“

Ein Tabuwort, vor dem alle an Kongos Friedensprozess Beteiligten Angst haben, steht da im Raum. Der Wahlausgang wird zeigen, ob die mit der Waffe groß gewordenen rivalisierenden Söhne von der Waffe lassen können.