: Die Schattenseite der Leuchttürme
Frontalangriff von SPD und Grünen auf das Leitbild Wachsende Stadt des CDU-Senats. Ein Jahr nach der Bürgerschaftswahl nutzt die Opposition die Aktuelle Stunde im Parlament zur Generalabrechnung. Der Bürgermeister selbst muss zurückkeilen
Von Sven-Michael Veit
Dem Chef höchstselbst blieb es vorbehalten, für ein gerüttelt Maß an Polemik zu sorgen. „Sie“, hielt Bürgermeister Ole von Beust (CDU) der rot-grünen Opposition vor, „schaden Hamburg“. Das Denken von SPD und GAL sei „kleinkariert“, ihr Handeln „destruktiv“, ihr Ziel, „diese Stadt schlecht zu reden“. Erkennbar genervt reagierte der Regierungschef gestern Nachmittag in der Aktuellen Stunde der Bürgerschaft auf den Versuch der Opposition, den Lack vom Kernbereich der Senatspolitik zu kratzen: Das Leitbild der „Wachsenden Stadt“ bekam in der Tat manche Schramme ab.
Das eine Jahr seit der Bürgerschaftswahl, bei der von Beust seiner CDU die absolute Mehrheit bescherte, sei „ein schwarzes Jahr für Hamburg“ gewesen, startete die grüne Fraktionschefin Christa Goetsch in die eineinhalbstündige, zunehmend turbulente Debatte. Von einem „Ankündigungssenat“ sprach sie, der „aufgeblasen“ sei „wie ein Ochsenfrosch“. Goetsch kassierte dafür den ersten Ordnungsruf von Bürgerschaftspräsident Berndt Röder (CDU), fünf weitere sollten folgen, gleichmäßig verteilt auf alle Fraktionen. Auch von Beust musste eine „Ermahnung“ einstecken, gerügt werden darf ein Senatsmitglied im Parlament nicht.
Die Konzentration auf „Prestigeprojekte“, die nicht zu finanzieren seien, warf Goetsch dem Senat vor, das „Millionengrab“ U-Bahn in die Hafencity führte sie exemplarisch an, und dem stehe gegenüber „ein Debakel für Kinder, Jugendliche und Familien“. Denn die Schulsenatorin habe erstens „keinen blassen Schimmer von Schulentwicklung“, befand die grüne Studienrätin, und habe zweitens „kein Konzept, um die Herausforderungen der Pisa-Studie zu bewältigen“. Und das sei eben die Schattenseite der vom Senat propagierten „Wachsenden Stadt“: Die „unbeschreibliche Gebührenwut für Vorschule, Schwimmen oder Lernmittel“ lasse die Bildungsschancen in Hamburg „schrumpfen“ und treibe Familien aus der Stadt.
Zum Beispiel „in die wachsende Stadt Norderstedt“, höhnte SPD-Fraktionschef Michael Neumann. Der Rückgang der Einwohnerzahl Hamburgs sei direkte Folge „von Gebührenerhöhungen, Kürzungen und Schließungen“, mit denen der CDU-Senat „den Mittelstand in dieser Stadt belastet“. Es seien diese „breiten Bevölkerungsschichten“, welche für die Traumprojekte des Senats zur Kasse gelassen würden: „Sie selbst“, so Neumann direkt an den Bürgermeister gewandt, „diskreditieren ihre eigene Idee“.
„Miesepetriges Meckern“ sei das, versetzte CDU-Fraktionsvize Frank Schira. Der „freudlosen Opposition“ würden die Menschen davonlaufen, das sehe man ja aktuell bei der SPD in Schleswig-Holstein. Der Hamburger Senat hingegen locke „die Menschen in diese erfolgreiche und blühende Stadt“. Da zollte selbst die eigene Fraktion nur pflichtschuldigen Beifall.
Selbst Finanzsenator Wolfgang Peiner (CDU), der starke Mann im Senat und Erfinder des wachsenden Leitbildes (siehe Kasten), vermochte die eigene Gefolgschaft nicht so recht zu begeistern. Dreimal ergriff er das Wort, beschwor sinkende Neuverschuldungen und steigende Investitionsraten und erklärte seine Politik für „familienfreundlich“. Allerdings stehe vor allen Wohltaten, das stellte Peiner zum wiederholten Male klar, „das Erfordernis, den Haushalt in Ordnung zu bringen“.
Genau das tue er nicht, erwiderte GAL-Haushaltspolitiker Willfried Maier, und bemühte sich, alle Argumente des Finanzsenators umzudrehen. Die Steigerung der Investionen „um 55 Prozent in den Hafen“ gebe es, und wo bleibe da der Schulhaushalt? „Sie investieren nicht in Menschen“, beantwortete Maier seine Frage gleich selbst, „sondern in Steine“. Steine aber, hatte zuvor von Beust behauptet, seien „nur die Form“. Dahinter stünden „Arbeitsplätze und Menschen“, folglich „die Zukunft dieser Stadt“. Vor der sei ihm nicht bange, so der Bürgermeister: Erst in drei Jahren bei der nächsten Wahl werde abgerechnet: „Darauf freue ich mich schon.“
Gerechnet hatte von Beust jedoch nicht mit den mathematischen Kompetenzen des SPDlers Jan Quast. Im September 2004 hätten laut Bevölkerungsstatistik in Hamburg „elf Menschen mehr als ein Jahr zuvor“ gelebt. Sechs davon „gehen auf das Konto meiner Fraktion und ihrer Mitarbeiter“, so der werdende Vater: „Wir tun was für die wachsende Stadt – und was tun Sie?“