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Die Scham ist vorbei

■ 5.000 AlkoholikerInnen kommen am Wochenende zum Ländertreffen nach Bremen

Alkoholismus ist eine „Volkskrankheit“ – aber einen Impfstoff wie gegen andere Epidemien gibt es dagegen nicht. Im Gegenteil, für Anonyme AlkoIkerInnen ist die Chance zur Heilung dann am größten, wenn die PatientInnen todkrank am Boden liegen. Dann kann die Begegnung mit AA, wie sich die Selbsthilfegruppe der Anonymen Alkoholiker kurz nennt, „das Wunderbarste auf der Welt sein“. So war es für Heinz, für Hannelore und für Johnny. Ebenso für Egon. Die vier sind heute „trocken“, bezeichnen sich gemäß alter AA-Sitte aber nach wie vor als AlkoholikerInnen – und bereiten zur Zeit das „deutschsprachige Ländertreffen der Anonymen Alkoholiker“ in Bremen vor, das am Freitag beginnt.

5.000 Ex-TrinkerInnen werden zum Jahrestreffen der weltweiten Organsisation in der Stadthalle erwartet. Zum zweiten Mal seit 1982 findet es in Bremen statt, „alles ehrenamtlich organisiert“. Das gehört zum Credo der TrinkerInnen: Niemand hilft besser als Menschen, die die Krankheit selbst durchlebt haben.

„Als ich mich zu meinem ersten Meeting nach Huchting schlich, dachte ich, mein Fall ist einzigartig“, berichtet Heinz. Doch dann erlebte er das Aufnahmeritual nach den Grundregeln aller AA-Meetings: „Jeder spricht nur von sich selbst. Ich gebe anderen keine Ratschläge.“

Kombiniert mit dem Grundsatz, „der Abend gehört den Neuen“, half die Gruppe ihm: „Ich saß da und dachte, die sprechen alle von mir.“ Für Heinz öffnete das ein Tor zur wirklichen Welt – „und die ist so schön“, sagt er heute. „Früher habe ich doch nicht mal mitgekriegt, wenn es Frühling war, ich hab' doch getrunken bis mir die Augen stillstanden.“ AA habe ihm das Leben gerettet. „Dankeschön.“ Das schlichte „Danke“ gehört für AAlerInnen zu fast jeder Rede: Menschen, die zuhören, waren für viele von ihnen in der „schlimmen Phase“ keine Selbstverständlichkeit. „Und Ehrlichkeit genauso.“

Das gilt für TrinkerInnen wie für Angehörige gleichermaßen. Deshalb werden Familien seit der Gründung der Organisation vor 50 Jahren in den USA zunehmend einbezogen.

Zu den 67 Bremer AA-Gruppen zählen auch die Al-Anon-Gruppen der Angehörigen und die der Kinder. „Nicht nur der Trinker hat ein Problem“, sagt Isolde, Ehefrau eines Alkoholikers, der in diesem Jahr seinen zehnten „Geburtstag“ feiert – den zehnten Jahrestag, seit er mit der Sucht fertig wurde.

Die Sucht ihres Mannes zwang Isolde, das eigene Leben genauer anzuschauen. Das war nicht erbaulich: Aus Scham half sie jahrelang mit, alles zu vertuschen – und führte gleichzeitig Strichlisten über seinen Alkoholkonsum. Heute sagt sie ironisch: „Ich hatte doch meinen Mann, da brauchte ich über mich selbst nicht nachzudenken.“

Erst AA habe ihr geholfen, die Scham zu überwinden. „Ich bin nicht mehr das Dummchen“. ede

Das deutschsprachige Ländertreffen beginnt am Freitag um 14 Uhr mit der „Begegnung“. Ort: Stadthalle Bremen. Einschreibegebühr 20 Mark.

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