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Die Richter und die Untermenschen Von Ralf Sotscheck

Die EngländerInnen sind ein stolzes Volk. Völlig zu Unrecht, behauptet jedoch der Daily Star. „Gestern habe ich mich dafür geschämt, Engländer zu sein“, schrieb Reporter Anthony Walton am Donnerstag. „Englands Name wurde von untermenschlichem Abschaum endgültig in den Dreck gezogen. Warum durften sie überhaupt nach Holland fahren? Die meisten dieser Schweinsgesichter müßten der Polizei doch längst bekannt sein.“ Walton weiß auch eine passende Strafe: „Sie verdienen die Prügelstrafe und sollten fünf Jahre lang Steine brechen. Mit ihren Köpfen.“

Es geht wieder einmal um Englands Hooligans, die sich am Mittwoch in Rotterdam – schon vor dem entscheidenden Spiel, in dem sich ihr Team die Teilnahme an der Weltmeisterschaft im nächsten Jahr vermasselte – eine Schlacht mit einheimischen Fußballfans und der Polizei lieferten. Was die Boulevardpresse am meisten ärgerte, war die Tatsache, daß die „Zoo- Kreaturen“ (Daily Star) von der Polizei in Rotterdam lediglich ausgewiesen wurden, ansonsten aber vermutlich ungeschoren davonkommen, weil sie in England keine Straftaten begangen haben: „Das wäre wirklich ein schändlicher Skandal.“

Der Eifer, mit dem die Boulevardpresse über die Hooligans herfiel, stand in krassem Gegensatz zum Schweigen über einen tatsächlichen Skandal: die richterliche Entscheidung, die Anklage gegen die drei Polizisten, die 1974 Geständnisse aus den „Birmingham Six“ gefoltert hatten, nicht zuzulassen. Die sechs in England lebenden Iren wurden damals zu lebenslanger Haft verurteilt, weil sie angeblich zwei Kneipen in Birmingham in die Luft gesprengt hatten. Als die sechs Männer vor zwei Jahren schließlich ihre Unschuld beweisen konnten, nannte das Gericht 16 Polizeibeamte, die ein „Netz der Täuschung und des Betruges“ gesponnen hatten. Davon blieben gerade mal drei übrig, die jetzt angeklagt werden sollten. Richter Garland würgte den Prozeß jedoch ab, weil die „Publizität für die Birmingham Six und gegen die Polizisten“ keine faire Gerichtsverhandlung zuließe.

Damit war selbst der senile Lord Denning nicht einverstanden. „Es ist ein entsetzlicher Gedanke, daß sowohl die Birmingham Six als auch die Polizeibeamten freigesprochen worden sind“, sagte der 95jährige Ex-Richter. „Was soll die Öffentlichkeit jetzt von unserem Justizsystem halten?“ Ach, Herr Richter. In den Augen der Öffentlichkeit hatte das Justizsystem bereits 1977 abgedankt, als der damals schon vergreiste Denning die Eröffnung des Prozesses gegen die prügelnden Polizisten ablehnte, weil es „eine entsetzliche Vorstellung“ wäre, daß sich die Beamten des Meineids, der Gewalt und Einschüchterung schuldig gemacht haben könnten.

Die Urteilsbegründung vom vergangenen Freitag stand ganz in Denningscher Tradition. Richter Garland gab der Presse die Schuld für die Publizität, die freilich erst zur Freilassung der Birmingham Six geführt hatte. Englands Serienmörder werden sich die Hände reiben: Je schrecklicher das Verbrechen, desto mehr berichtet die Presse darüber – und desto unmöglicher ist ein fairer Prozeß. Garland ließ den drei Polizisten obendrein sämtliche Kosten erstatten, während die Birmingham Six noch immer um die Entschädigung für 16 Jahre Knast kämpfen.

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