: Die Renten-Resistenten
Den älteren Zuschauern gehört das Fernsehen der Zukunft: Sie haben das Geld und die Zeit zum Schauen. Aber nur langsam fangen auch die Sender an, mit dem demografischen Faktor zu rechnen
VON STEFFEN GRIMBERG
Deutschland, Frühjahr 2030: Beim ZDF geht Intendant Markus Schächter (81) endgültig in den Ruhestand. Der Sender ist seit 25 Jahren unangefochtener Marktführer und hat im neuen Jahrtausend alles richtig gemacht – das ZDF ist einfach geblieben, wie es ist. Schließlich waren schon 2004 drei Viertel seiner ZuschauerInnen jenseits der 50. Den Rest besorgte die demografische Entwicklung.
Zugegeben: Ob Schächter wirklich so lange macht, ist pure Spekulation. Der Rest des Szenarios, so das Fazit der diesjährigen Medientage der Tutzinger Akademie und des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik, wohl kaum. Alte Menschen sind die Lieblingszuschauer der öffentlich-rechtlichen Programmplaner. Satte vier Stunden pro Tag hocken die über 60-Jährigen vor der Mattscheibe, ab 70 steigt die Sehdauer dann auf atemberaubende 253 Minuten. Sie sind weniger zapp-anfällig als jüngere Semester und ignorieren, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die Privatsender.
„Wir sind sehr zufrieden mit unserer Zuschauerschaft“, heißt es jetzt auch unverblümt beim Sender der „aktiven Mitte“ (Schächter). Natürlich, so Susanne Kayser, Chefin der ZDF-Medienforschung, werde man sich auch weiter um die jüngeren Zuschauer kümmern, damit es nicht zum „Generationenabriss“ kommt. Das klappt mitunter auch eher zufällig: Bei der Wiedereinlieferung von Professor Brinkmann & Co. in die „Schwarzwaldklinik“ vor zwei Wochen gehörte jeder Vierte der 12,5 Millionen Zuschauer in die Alterskategorie 14–49.
Und auch wenn wissenschaftliche Studien weiter beklagen, ältere Menschen würden im Fernsehen totgeschwiegen – die „gefühlte Statistik“ sieht anders aus. „Wenn das Alter irgendwo gewürdigt wird, dann bei ARD und ZDF“, sagt Medienjournalist Tillmann Gangloff. Und das nicht nur im „ARD-Büffet“ oder bei der stets gern bemühten Volksmusk. Ein ganzer Haufen „Tatort“-Kommissare wäre im wirklichen Leben längst frühpensioniert, „Bella Block“ wird dieses Jahr 64, und Götz George steigt mit 66 noch in die „Schimanski“-Jacke. Gesundheit ist das neue Boom-Thema, der „rüstige Rentner“ das typische Altenbild im deutschen Fernsehen. Nur sehr langsam erschließt sich die Fiction das komplizierte Feld der Altersgebrechen – eine Ausnahme bildet hier „Mein Vater“ mit Götz George als Alzheimer-Krankem.
Vom Trend „50 plus“ profitieren auch die Dritten Programme der ARD, die mit ihrer Service-Bereitschaft Publikum binden und zusammenaddiert manches Quoten-Ranking anführen. Doch beim „Ersten“ starren die ARD-Oberen wie die gesamte TV-Branche weiter gebannt auf die ebenso künstliche wie unzerstörbare Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen. Unter optimalen Bedingungen erreiche man mit der Werbung für die „relevanten“ 14–49er ja auch 80 Prozent der über Fünfzigjährigen, rechtfertigt sich Research-Director Daniel Haberfeld von SevenOne Media, der Vermarktungstochter von ProSieben und Sat.1. Doch was sind optimale Bedingungen? „Generationsübergreifende Werbung“ prognostiziert Christoph Wild vom ARD-Vermarkter Sales & Services.
So weit war das ZDF aber auch schon mal: Vor fünf Jahren hatte Markus Schächter, damals noch Programmdirektor, der Werbewirtschaft auf der Telemesse die Leviten gelesen. Die „Best Ager“, die so kauffreudigen wie laufkräftigen SeniorInnen in der zweiten Lebenshälfte sollten sie endlich ins Visier nehmen. Geschehen ist seither wenig. Denn die „Alten“ lassen sich nicht so leicht über einen Kamm scheren. NDR-Programmplaner Heiner Backensfeld hat dafür ein simples, aber effektives Beispiel: seine Mutter. Die sei um die 70 – und habe neulich mit Begeisterung eine 1970er-Jahre-Show bei RTL gesehen. „Das war ihre Musik“, sagt Backensfeld und klingt immer noch ein bisschen erstaunt.