: „Die Realität ist der beste Lehrmeister“
■ Rudolf Scharping, Fraktionsvorsitzender der SPD, zu den Bedingungen der SPD für Rot-Grün
taz: Was hat letztlich den Ausschlag gegeben für den Wahlsieg der SPD?
Scharping: Es ist uns gelungen, die Diffamierung der SPD in den für die Regierungsfähigkeit entscheidenden Bereichen, innere und äußere Sicherheit, zu unterbinden. Das waren vorher in der SPD heftig umstrittene Themen. Die SPD hat sich außerdem vollständig von dem traditionellen Eindruck gelöst, zerstritten und nicht regierungsfähig zu sein. Und dann kommt dazu, daß Gerhard Schröder den Eindruck wirtschaftlicher Kompetenz vermittelt hat.
Die Feierlichkeiten über den Wahlsieg in der niedersächsischen Landesregierung wirkten merkwürdig zurückhaltend. Kamen dabei die Vorbehalte gegen eine bevorstehende rot-grüne Koalition zum Ausdruck?
Wir hatten uns beim Feiern schon im Ollenhauer-Haus verausgabt. Eine Angst vor der eigenen Courage gibt es nicht. Die Grünen haben in Magdeburg hoffentlich zum letzten Mal einen Rückfall in die alten kindlichen, antiautoritären Zeiten erlebt. Damals war es ihnen gelungen, die wirklich großen Zukunftsfragen, die drängende Zeit zur Bewältigung der Probleme, zur Narretei zu machen. Die parlamentarische Arbeit der letzten Jahre hat aber auch gezeigt, daß es in vielen Fragen gemeinsame Zukunftsvorstellungen gibt.
Eine rot-grüne Koalition scheint sicher. Ist es in diesem Wahlkampf gelungen, den Wählern die Befürchtungen vor dieser Regierungskonstellation zu nehmen?
Das Vertrauen in die SPD hat die Angst vor den Grünen weit überwogen. Die Grünen haben Stimmen verloren. Die Ursache dafür haben sie selbst gesetzt. Die Handschrift der Fortschrittspolitik ist sozialdemokratisch.
Worauf kommt es bei den jetzt wohl anstehenden Koalitionsverhandlungen mit den Bündnisgrünen an?
Die Bürger brauchen sich keine Sorgen in wirtschaftlichen, finanziellen, innenpolitischen, außenpolitischen und europapolitischen Fragen machen...
...da bleibt ja nichts mehr übrig!
Entweder da ist Stabilität gewährleistet, oder es gibt keine rot- grüne Koalition.
Wie wichtig war es denn für den Wahlsieg, daß die Sozialdemokraten die Rücknahme der „Reformen“ bei Lohnfortzahlung, Kündigungsschutz und Rente angekündigt hatten?
Das war entscheidend für die Glaubwürdigkeit einer sozial gerechten Politik.
Gehören diese Reformen auch zur Verhandlungsmasse bei einem Bündnis für Arbeit?
Nein, die Rücknahme der sogenannten Reformen steht vor der Klammer.
BDI-Präsident Olaf Henkel hatte sich vor der Wahl gegen ein Bündnis für Arbeit ausgesprochen. Am Sonntag kreuzte er zur Wahlparty der SPD auf...
Die Realität ist der beste Lehrmeister. Interview: Markus Franz
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