: Die Raster kommen und gehen
Proteste der Opposition gegen thüringer Lehrerüberprüfungspraxis/ Vorwurf an die Kultusministerin Christine Lieberknecht, mit Bedenklichkeitsüberprüfung Lehrerstellen durch die Hintertür abzubauen ■ Von Gerhard Morgenroth
Erfurt. Die Praxis der Lehrerüberprüfung durch das thüringer Kultusministerium stößt bei der Opposition auf zunehmende Proteste. Die SPD und die Fraktion Neues Forum/Grüne/Demokratie Jetzt sprachen am Mittwoch übereinstimmend von einer gefährlichen Entwicklung. Kultusministerin Christine Lieberknecht wird „glatter Wortbruch“ vorgeworfen.
Sowohl SPD als auch Neues Forum/Grüne/Demokratie Jetzt erinnern daran, daß die Ministerin vor Wochen eindeutig die Zusage gegeben habe, daß jeder Bedenklichkeit, die auf Schulamtsebene ausgesprochen werde, eine Einzelfallprüfung durch das Ministerium folgen soll, zu der der Betroffene persönlich gehört werde. Jetzt wird den Lehrern per Post die Mitteilung zugestellt, daß ihre „Eignung“ für den thüringer Schuldienst nicht bestätigt werden konnte. Den Betroffenen wird nun lediglich die Möglichkeit eingeräumt, sich bis zum 31. Juli schriftlich zum Ergebnis ihrer Überprüfung zu äußern.
Die SPD-Fraktion konstatiert, daß die jetzt geübte Praxis „jedem gesunden Rechtsempfinden“ widerspricht. Die Fraktion Neues Forum/ Grüne/Demokratie Jetzt stellt fest, daß mit dem Wegfall des jeweilgen Einzelgesprächs „ein wesentlicher Teil der Vergangenheitsbewältigung nur noch auf dem postalischen Weg erledigt“ wird. SPD-Bildungsexperte Hans-Jürgen Döring äußerte am Mittwoch die Vermutung, daß die Kultusministerin mit den Mitteln der Bedenklichkeitsüberprüfung den gezielten Abbau von Lehrerstellen durch die Hintertür betreibt. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hatte sich bereits vor einiger Zeit besorgt über mögliche massenhafte Lehrerentlassungen geäußert.
Nach jüngsten Angaben von Ministerin Lieberknecht sollen bis Ende des Jahres 2.200 Lehrerstellen in Thüringen abgebaut werden. Dabei wies sie allerdings auch darauf hin, daß diese von ihr genannten Zahlen nichts mit den Bedenklichkeitsüberprüfungen der Pädagogen, die jetzt auf Kreisebene beendet werden, zu tun haben. Sie versicherte nach einem Gespräch mit der GEW auf einer Pressekonferenz am vergangenen Montag — was es auch immmer heißen mag —, negative Bescheide würden noch keine Kündigung bedeuten. GEW-Bundesvorsitzender Dr. Dieter Wunder zeigte sich offensichtlich beeindruckt, daß der von der thüringer Regierung geplante Lehrerabbau relativ günstig im Vergleich zu anderen Bundesländern liegt. Er verlangte hinsichtlich der Bedenklichkeitsüberprüfungen lediglich, daß alle Härtefälle noch einmal im Kultusministerium überprüft werden. Auch die SPD meint, daß zur Gefahr, daß Denunziationen und Falschaussagen die Überprüfungen rechtlich ad absurdum führen, nur eine persönliche Einzelfallprüfung im Ministerium ein Gegengewicht schaffen kann. Sie fordert die Landesregierung auf, die undurchsichtige und unglaubwürdige Politik zu beenden. Neues Forum, Grüne und Demokratie Jetzt sehen im Verlauf des Überprüfungsverfahrens der Lehrer die Unfähigkeit der Regierung, „dem Problem insgesamt überhaupt noch gewachsen zu sein“. adn
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