: Die Potsdamer Ampel: Ein Muster ohne Wert
Die Potsdamer Ampelkoalition von SPD, FDP und Bündnis 90 weckte vor vier Jahren die Hoffnung, daß auch in Bonn neue Mehrheitsverhältnisse möglich werden – dabei ist sie vielmehr eine Brandenburger Spezialität ■ Aus Potsdam Anja Sprogies
Manfred Stolpe kommt sich vor wie ein „Teilnehmer an Turnweltmeisterschaften im Spagat“. Doch trotz langjährigen Trainings als Mann zwischen Staat, Kirche und Stasi gelingt es ihm kaum, seine Koalitionspartner von FDP und Bündnis in den Spreizschritt zu integrieren.
Immer wieder sorgte vor allem der dem Bürgerbündnis nahestehende Umweltminister Mathias Platzeck (parteilos) für Mißklänge in der Kabinettsharmonie. Vorsichtig geschätzt mußte die Koalition allein im vergangenen Jahr über ein Dutzend Konflikte austragen. Oft wurde die mit nur einer Stimme Mehrheit regierende Ampel totgeschrieben. Doch sie wird bis zur Wahl durchhalten. Denn die Partner, allen voran Platzeck, sind geschmeidig genug, um immer wieder Kompromisse zu schließen.
1990, als die Ampel gebildet wurde, galt sie bundesweit noch als hoffnungsvolles Signal für eine Regierungsalternative links von Kohl. Mit der Beteiligung der FDP an einem rot-grünen Bündnis schien plötzlich eine völlig neue Mehrheit in Bonn zumindest denkbar. Doch das Potsdamer Modell ist – so das Resümee nach gut drei Jahren – auf Bundesebene ein Muster ohne Wert. Zu spezifisch sind die regionalen Bedingungen. Und zu wenig Ähnlichkeiten gibt es zwischen Brandenburgs Ampelparteien und ihren Bonner Pendants.
Eigentlich sei das gar keine rot- grüne Zusammenarbeit, meinen viele, sondern eine Stolpe-Lietzmann-Platzeck-Koalition. Womit die drei Säulen der Potsdamer Regierung, der Ministerpräsident (SPD), der FDP-Fraktionschef und sein Kollege vom Bündnis, genannt wären. Und die haben nach der Landtagswahl im September durchaus Unterschiedliches vor.
Letztes Jahr träumte Stolpe – der Konflikte überdrüssig – immer häufiger von der absoluten Mehrheit. Seine Popularität im Lande bewegte sich – ungeachtet der schwelenden Stasi-Affäre – in schwindelerregender Höhe. Über achtzig Prozent der Brandenburger würden ihn direkt zum Ministerpräsidenten wählen. Die SPD liebäugelte eine Zeitlang sogar in aller Öffentlichkeit mit vorgezogenen Landtagswahlen, um die kleinen Quälgeister endlich loszuwerden.
Im Hochgefühl der zu erwartenden Macht nahmen die Sozialdemokraten immer weniger Rücksicht auf die Koalitionspartner. Etwa in der Energiepolitik, wo Stolpe entgegen der Forderung von Mathias Platzeck einen Strukturwandel ablehnte. Brandenburg soll weiter mit heimischer Braunkohle versorgt werden und nicht mit russischen Erdgas, so der Ministerpräsident.
Seit der Kommunalwahl am 5. Dezember 1993 – die SPD kam landesweit nur auf 34,5 Prozent und die PDS wurde überraschend zweitstärkste Partei mit 21 Prozent – sind die Genossen jedoch wieder bescheidener geworden. Plötzlich spricht Stolpe von einem „Wiederverwendungsmodell“ der Ampel, und der SPD-Landeschef Steffen Reiche darf nicht mehr locker vor der Presse von der absoluten Mehrheit träumen. Man gibt sich wieder sehr freundlich. Stolpe bietet heute der FDP in jedem Fall die Zusammenarbeit an – auch wenn die SPD die absolute Mehrheit erzielt.
Dieses Ansinnen weist Fraktionschef Lietzmann natürlich weit von sich: „Auf gar keinen Fall“ werde er mit der SPD regieren, „sollte die uns nicht wirklich für einen Koalition brauchen“. Immer noch sauer ist der FDP-Mann auf Stolpes Abstimmungsverhalten im Bundesrat zur Pflegeversicherung.
Lietzmann lehnt eine Neuauflage der Ampel jedoch nicht grundsätzlich ab. „Dann muß aber sehr genau über Inhalte geredet werden.“ Der FDP-Fraktionschef will in dem neuen Koalitionsvertrag vor allem die Energiepolitik auf Braunkohlebasis, detailliert das Abstimmungsverhalten im Bundesrat und die Fusion Berlin– Brandenburg festschreiben.
Das Bündnis um Platzeck und Fraktionschef Günther Nooke ist nicht nur in der Energiepolitik anderer Auffassung, es lehnt auch die Länderfusion vehement ab. „Kooperation statt Fusion“, fordert Nooke. Und: „Brandenburg soll Brandenburg bleiben.“ Weiter: „Erst sollen einzelne Verträge zwischen Berlin und Brandenburg abgeschlossen werden, und wenn sich dann alle immer noch lieben, können sie sich am Schluß auch vereinigen.“
Nooke repräsentiert im Landtag das grüne Ampellicht, dem seit der Vereinigung von Bündnis 90 und Grünen jedoch die Erdung fehlt. Der Fraktionschef und zwei weitere Abgeordnete ebenso wie Umweltminister Platzeck verweigerten den Schritt in die neue Partei. Nooke und Co. nennen sich nun schlicht Bündnis und sympathisieren heftig mit dem Bürgerbündnis. Mit Bündnis 90/ Die Grünen wollen sie auf keinen Fall zusammenarbeiten, beschlossen sie am vergangenen Wochenende in Potsdam. Man sieht sich als brandenburgische Statt Partei.
Die Mini-Partei mit knapp 200 Mitgliedern will bei der nächsten Wahl über Listenverbindungen mit dem Bauernverband und dem Neuen Forum den Sprung in den Landtag schaffen. Ob Nooke und Platzeck zur Kommunalwahl auf das Bürgerbündnis aufspringen werden, ist wahrscheinlich, aber noch nicht endgültig entschieden.
Spannend wird es in Potsdam noch einmal, wenn der Stolpe-Untersuchungsausschuß sich im Frühjahr auf einen Abschlußbericht verständigen will. Ausschußmitglied Nooke hat sein Urteil bereits gefällt: Stolpe hat mit seinen Stasi- Kontakten die Kirche verraten. Die SPD ist natürlich ganz anderer Meinung. Konsequenzen für die Ampel will Nooke aus seiner Erkenntnis im übrigen genauso wenig ziehen wie Stolpe. Die Ampel muß leuchten.
Vor künftigen Koalitionsgesprächen steht ohnehin die auch im brandenburgischen Wahlgesetz festgeschriebene Fünf-Prozent- Hürde. An ihr könnten Bündnis 90/ Die Grünen scheitern, die zum erstenmal seit ihrem Zusammenschluß zur Wahl antreten und sich bisher kaum profiliert haben. Kritisch könnte es aber auch für die FDP und das Bürgerbündnis werden. Wer die magische Marke zu überspringen vermag, wird wohl mitregieren. Denn die absolute Mehrheit wird die SPD nicht erreichen.
So spricht alles dafür, daß in Brandenburg die Koalitionsfrage pragmatisch, nicht ideologisch entschieden wird. Es kam schon vor, daß CDU und PDS gemeinsam einen SPD-Landratskandidaten verhinderten. So geschehen kürzlich in der Prignitz. Koalitionen sind im Land zwischen Havel und Oder eben Schall und Rauch.
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