: Die PDS ist weit weg von Bad Godesberg
Die Partei diskutiert über Stasi-Spione und DDR-Funktionäre. Jetzt verliert sie mit André Brie auch noch ihren intellektuellen Kopf. Die PDS steckt vor dem Parteitag in einer Identitätskrise ■ Von Jens König
Manchmal kann Lothar Bisky sogar ironisch sein. Ich habe ein interessantes Leben, sagt der PDS-Chef, ich habe ein Amt, in dem man jeden Tag eine Überraschung erlebt.
Manchmal fühlt sich Lothar Bisky aber auch wie der Mülleimer der Partei. Jeder Mist wird bei ihm abgeladen. Die größte Arbeitsgemeinschaft der PDS, sagt er in solchen Momenten, ist die AG Psychopathen. Von wegen interessantes Leben. Verrückt werden könnte er jeden Tag!
Die AG Psychopathen war in den vergangenen Wochen wieder besonders aktiv. Amnestie für DDR-Funktionäre, Haftentschädigung für verurteilte SED-Politbüromitglieder, ein Honorarvertrag der PDS-Bundestagsfraktion für den DDR-Topspion Rainer Rupp – die Genossen stellten eindrucksvoll unter Beweis, wo sie momentan der Schuh drückt. Bisky jedoch blieb in diesen Tagen meistens gelassen. Das ist nun mal seine Art. Er ist der große Schlichter der Partei. „Ich sehe durchaus mit einer gewissen Sorge“, sagte Bisky mit aller ihm zur Verfügung stehenden Unschärfe, „wenn uns solche Fragen der ehemaligen Privilegierten zu sehr beschäftigen.“
Nach der erfolgreichen Bundestagswahl träumte die PDS eigentlich davon, in Bonn endlich ernst genommen zu werden. Als Partei der sozialen Gerechtigkeit wollte sie sich bundesweit profilieren, frech und offen sein. Aber in den vergangenen Wochen hatte die PDS offensichtlich Besseres zu tun. Sie präsentierte sich als ein verklemmter Haufen von DDR- Vaterlandsverteidigern. Und was machte die Parteiführung, die sich auf ihre Fahnen geschrieben hat, aus der PDS eine moderne sozialistische Partei zu machen? Sie ließ die Amnestie-Debatte laufen, sie segnete den Vertrag für Rainer Rupp ab, und sie mußte schließlich mit ansehen, wie neun Bundestagsabgeordnete ihrer Partei vorwarfen, „eine rückwärtsgewandte Kraft“ zu sein. Ausgerechnet in dieser Situation verliert die PDS-Spitze ihren intellektuellsten Kopf. André Brie, Vordenker der Partei und zugleich ihr Zuchtmeister, scheidet auf dem Parteitag am Wochenende aus dem Vorstand aus. Er mag nicht mehr. Drei Bundestagswahlkämpfe hat er für die PDS erfolgreich gemanagt, jetzt fühlt er sich ausgebrannt. Er will einfach mal etwas anderes machen.
Einige in der Partei reagieren auf diesen Verlust erstaunlich gelassen, andere gleichgültig, manche sogar zynisch. Es gibt nicht wenige, die sind sogar froh, Brie endlich los zu sein. Viel zu oft wurden sie von dem zerknirschten Intellektuellen provoziert. Er hat ihre Harmoniesucht angegriffen und versucht sie zur Demokratie zu erziehen. Die Art und Weise, wie die Partei auf Bries Kritik und auf seinen Rückzug reagiert, zeigt noch deutlicher als die Amnestie-Debatte, daß die Reformer in der PDS gegenüber den Pragmatikern und den Traditionalisten an Einfluß verloren haben.
Erst vor wenigen Tagen hat Brie seiner Partei abermals die Leviten gelesen. Er warf ihr „mangelnde Strategiefähigkeit“ vor. Die PDS sei nicht in der Lage, Antworten auf die großen gesellschaftlichen Fragen zu finden, klagte er. Hängt der Rückzug des prominenten Kritikers aus der Parteiführung mit dieser Provokation zusammen? Gibt da einer der entschiedensten Reformer seine Hoffnung in bezug auf die PDS auf? Vor allem im Westen wird das so gesehen. Neben Gregor Gysi steht der mediengewandte Brie in der Öffentlichkeit dort als einziger für das Versprechen, daß aus der PDS irgendwann einmal so etwas wie eine moderne Partei werden könnte. Aber Brie ist nicht nur ein Intellektueller, sondern viel zu sehr Parteisoldat, um der PDS die Treue aufzukündigen. Gerade weil er an der Partei hängt, leidet er so sehr. Sein Ausstieg hat private Gründe. Aber auch sie zeigen ein Dilemma der Partei: ihre geistige Enge. Brie war im Sommer zusammen mit drei jungen Ostdeutschen in den USA. Er wurde neidisch, als er ihr perfektes Englisch hörte und erfuhr, daß sie nach der Wende alle drei postgraduale Abschlüsse an amerikanischen Universitäten gemacht hatten. Da war er plötzlich wieder, dieser Minderwertigkeitskomplex, der fast alle Ostdeutschen irgendwann einmal einholt, dieses Gefühl, zuwenig gelesen und zuwenig von der Welt gesehen zu haben. In solchen Momenten wird Brie bewußt, wie viele Meilen er und seine Partei von den Erfahrungen der westdeutschen Linken entfernt sind. Die diskutieren über Habermas, Deleuze und Luhmann, die PDS aber bleibt in ihrer theoretischen Debatte bei Kautsky stehen. In den USA entschloß sich Brie, eine Zeitlang auszusteigen, um intellektuell aufzuholen.
Von New York aus betrachtet, sieht man eben viel deutlicher, was der PDS alles fehlt. Und jetzt, wo die Jahre der ideologischen Gemütlichkeit vorbei sind, wo die PDS als Fraktion im Bundestag sitzt, wo sie in Mecklenburg-Vorpommern regiert, weiß die Partei plötzlich selbst nicht mehr, was sie zusammenhält. Kann eine Partei, die regiert, gleichzeitig Systemopposition sein? Mit zunehmender Macht und zunehmendem Einfluß offenbaren sich die programmatischen Defizite der PDS. Die Partei kann nicht mehr davon leben, ein Underdog aus dem Osten zu sein.
Auf dem Parteitag am kommenden Wochenende sind scharfe Auseinandersetzungen über das Selbstverständnis der PDS zu erwarten. Der Parteitag soll die Debatte über ein neues Grundsatzprogramm einleiten; das alte stammt von 1993. Die verschiedenen Flügel der Partei haben bereits scharfe Kritik angemeldet. Das von der PDS-Führung im neuen Programm geplante klare Bekenntnis zum Grundgesetz und zur Marktwirtschaft diene nur dazu, wettert Uwe-Jens Heuer vom Marxistischen Forum, in der Bundesrepublik „radikal ankommen zu wollen“.
Der Berliner Politologe Gero Neugebauer sieht im Austragen dieser Konflikte die einzige Chance für die PDS, wenn sie nicht als langweilige Ostpartei enden will. „Die PDS muß raus aus ihrem Ghetto. Sie muß sich der Gesellschaft gegenüber öffnen“, sagt er. „Sie braucht ihr Bad Godesberg.“
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