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Die Nordiren werden einsamer

■ In der Republik Irland wächst das Desinteresse an den Landsleuten im Norden / Premierminister Haughey taktiert / Proteste gegen London rhetorisch

Aus Dublin Ralf Sotscheck

„Früher bin ich oft in Nordirland gewesen. Das letzte Mal war ich 1968 dort, kurz vor Ausbruch der Unruhen. Heute fahren ja nur noch Lebensmüde hoch“, sagt Johnny Murtagh. Wir sitzen im „Old Crescent“, einer Kneipe in Dublins Innenstadt, wo die letzten Ereignisse in Belfast heftig diskutiert werden. Im März waren innerhalb von nur einer Woche zehn Menschen eines gewaltsamen Todes gestorben, eine Beerdigung folgte auf die andere. In vielen Fällen hatten die Opfer lediglich die falsche Religion, waren politisch jedoch nicht aktiv. Johnny befürchtet, daß diese „sektiererischen“ Morde zu einer Welle der Gewalt wie Anfang der siebziger Jahre führen werden, als katholische und protestantische Paramilitärs ziemlich wahllos Angehörige der anderen Religionsgemeinschaft ermordeten. Als der Nordirland–Konflikt 1969 ausbrach, war Johnny Murtagh gerade 20 Jahre alt. Wie die meisten Südiren forderte er damals die Invasion Nordirlands: „Als die Greueltaten der Protestanten in Zusammenarbeit mit Polizei und britischer Armee hier bekannt wurden, waren viele von uns - jung und alt - bereit, in den Norden zu marschieren und der katholischen Bevölkerungsminderheit zu Hilfe zu kommen. Heute weiß ich nicht, ob es überhaupt eine Lösung des Konflikts gibt.“ Die Fernsehbilder, die minutiös die Morde auf dem Belfaster Milltown–Friedhof festgehalten hatten und in irische Wohnzimmer ausgestrahlt wurden, lösten in der Republik Irland das gleiche Entsetzen und die gleiche Verständnislosigkeit aus, wie Szenen aus Israel oder dem Iran. Die Tatsache, daß die Medien in aller Welt - und besonders in Großbritannien - wieder einmal das Bild der „fanatischen und gewalttätigen Iren“ zeichneten, obwohl die Einwohner Nordirlands nach britischem Recht britische Staatsbürger sind, erinnerte die Südiren jedoch daran, daß der Konflikt vor ihrer Haustür liegt. Ein Drittel gegen Wiedervereinigung Zwar erhebt die Republik Irland in ihrer Verfassung Anspruch auf den Norden, und keine Partei könnte es sich erlauben, diesen Artikel zu streichen, aber immer mehr Südiren wollen nicht allzu nah mit dem Problem konfrontiert werden. Lieber distanziert man sich von den ungeliebten Landsleuten im Norden. Nach einem IRA–Anschlag schämte sich der Dubliner Sänger Chris de Burgh in einem flugs komponierten Lied sogar dafür, daß er Ire ist. Eine unabhängige Umfrage im letzten Jahr hat ergeben, daß nur noch zwei Drittel der südirischen Bevölkerung ein vereintes Irland fordern. 1983 waren es noch 75 Prozent. Umgekehrt ist die Zahl derer, die unentschieden oder sogar gegen eine Vereinigung sind, von 24 auf 33 Prozent gestiegen. Besonders überraschend war die Tatsache, daß die Mehrheit der Befragten die Bewohner Nordirlands für ebenso britisch wie irisch hält. Der wichtigste Grund für das wachsende Desinteresse an nordirischen Angelegenheiten ist der finanzielle Aspekt. Es ist klar, daß bei einer Vereinigung der beiden Teile Irlands erhebliche Ausgaben auf die Dubliner Regierung zukommen würden, weil sie dann die britischen Subventionen in Höhe von 4,5 Milliarden Mark im Jahr übernehmen müßte, mit denen Nordirland am Leben erhalten wird. Diese Kosten müßten durch erhöhte Steuern aufgebracht wer den. Nur 40 Prozent der SüdirInnen wären bereit, für ein vereintes Irland mehr Steuern zu zahlen. Die Republik Irland steckt ohnehin in einer schweren finanziellen Krise. Die hohe Staatsverschuldung soll durch rigorose Sparmaßnahmen abgebaut werden, von denen besonders die Bereiche Gesundheit und Bildung betroffen sind. Und die heute schon höchste Arbeitslosigkeit in der Geschichte des Landes steigt weiter. Für die Regierungspartei „Fianna Fail“ (Soldaten des Schicksals) liegen die Prioritäten daher auch eindeutig im eigenen Land. Politik des Protests Dennoch erwartete die irische Bevölkerung von ihrem Premierminister Charles Haughey schärfsten Protest gegen die britische Regierung, die das Recht der (nord–irischen) Bürger seit Anfang des Jahres ein ums andere Mal mit Füßen getreten hat (siehe Kasten). Doch Haughey reagierte mit erstaunlicher Gelassenheit - eine Eigenschaft, für die er bisher keineswegs bekannt war. Nach Ausbruch des nordirischen Konflikts im Jahr 1969 war Fianna Fail immer mehr unter Druck geraten. Die Bilder von Straßenschlachten und Überfällen auf die katholischen Wohnviertel Belfasts und Derrys lösten in Südirland Empörung aus - vor allem bei Anhängern von Fianna Fail, die sich traditionell als republikanische Partei bezeichnet und 1927 aus einer Abspaltung von Sinn Fein und IRA entstanden war. Von der Regierung wurde verlangt, daß sie den nordirischen Katholiken zu Hilfe komme und dadurch das Ende des künstlichen nordirischen Staates einleite. Tatsächlich richtete die irische Regierung lediglich Feldlazarette an der Grenze für die Flüchtlinge aus Nordirland ein. Die von der katholischen Minderheitsbevölkerung Nordirlands erhoffte Invasion blieb aus, obwohl Fianna Fail Gespräche mit der wiedererstarkten IRA führte. Ob Fianna Fail die IRA letztendlich mit Waffen versorgte, ist bis heute ungeklärt. Haughey, der damals Finanzminister war, wurde zwar vom Vorwurf des Waffenschmuggels für die IRA freigesprochen, doch über seine Sympathien zu jener Zeit gibt es keinen Zweifel: Sie lagen bei den Republikanern von Sinn Fein und IRA. Und auch während des IRA–Hungerstreiks im Jahr 1981, in dessen Verlauf zehn Gefangene starben, fand Haughey (inzwischen Fianna–Fail–Führer) starke Worte gegen die Unnachgiebigkeit der britischen Regierung. Er entsandte sogar eine Parteidelegierte zu dem sterbenden Hungerstreikenden Bobby Sands. Haugheys Wende Warum also heute diese Zurückhaltung, wo doch in aller Welt kritische Stimmen über das britische Verhalten erhoben werden? Viele Beobachter glauben, daß Haughey das anglo–irische Abkommen vom November 1985 retten will, das der Dubliner Regierung ein eng umgrenztes Mitspracherecht in nordirischen Angelegenheiten einräumen sollte. Doch das Abkommen wurde während der Amtszeit der jetzigen Oppositionspartei „Fine Gael“ (Stamm der Gaelen) unterzeichnet. Einer der schärfsten Kritiker war damals Charles Haughey. Als er drei Monate später zum Regierungschef gewählt wurde, war er noch immer gegen das Abkommen, weil es seiner Meinung nach die Teilung Irlands festschrieb. Doch drei Tage später erklärte er einer erstaunten Journalisten–Schar, daß er eindeutig hinter dem Abkommen stehe. Was hatte diese Wendung veranlaßt? Haughey war deutlich gemacht worden, daß seine Minderheitsregierung die Unterstützung der Oppositionsparteien verlieren würde, falls er das anglo–irische Abkommen aufkündige. Haugheys Wende charakterisiert seine gesamte Nordirlandpolitik: Sie war immer auf die Republik Irland zugeschnitten. Solange das Abkommen im Dubliner Parlament für einen Konsens bei der Nordirlandpolitik sorgt, so lange kann Haughey auch eine Unterstützung seiner „thatcheristischen“ Wirtschaftspolitik erwarten. Er wird zwar weiterhin den anglo– irischen Vertrag kritisieren, wie im April in New York, aber bei dieser rhetorischen Übung für seine Anhänger wird er es belassen. So ist auch seine Zurückhaltung angesichts der britischen Brüskierungen zu erklären: Sie beruht weniger auf einem Interesse an guten Beziehungen zu Großbritannien als vielmehr auf Desinteresse und Pessimismus in Hinblick auf eine Lösung in Nordirland. Fine Gael, die das Abkommen unterzeichnet hat und sich viel davon versprach, reagierte deshalb auch weitaus schärfer auf die britische Insensibilität: Man fühlt sich von London verraten. Von der Republik Irland wird keine politische Initiative zur Entschärfung des Nordirland–Konflikts ausgehen, sondern Fianna Fail wird auf Vorschläge aus Großbritannien oder von den nordirischen Protestanten warten. Dann jedoch hat Haughey freie Hand: Schließlich war seine Nordirland–Politik bisher so widersprüchlich und richtungslos, daß er sich alle Wege offen gehalten hat.

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