: Die Nörgeleien der „Hirnverbrannten“
REAKTIONEN Der Koalitionsvertrag stößt bei Opposition, Gewerkschaften und Sozialverbänden auf Kritik. Einige befürchten den Beginn einer „sozialen Eiszeit“ – alles „Hirnverbranntheit“, hält Westerwelle seinen Kritikern entgegen
BERLIN rtr/afp/taz | Gewerkschaften, Opposition und Sozialverbände kritisieren den auf erhebliche Neuverschuldung ausgerichteten Koalitionsvertrag von Union und FDP. Der designierte SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel sprach von einem „Klientel-Koalitionsvertrag“. Steuern würden für diejenigen gesenkt, die es gar nicht nötig hätten. Er warf den Koalitionären vor, „gegen das Allgemeinwohl“ zu handeln. Angela Merkel lasse sich von der FDP zu einer „nicht finanzierbaren Politik treiben“.
„Schwarz-Gelb ist eine Koalition der sozialen Spaltung, Tricksereien und neoliberaler Entstaatlichung“, meinte der Fraktionschef der Linkspartei, Gregor Gysi. Claudia Roth schließlich sagte auf dem Parteitag der Grünen, mit Schwarz-Gelb sei eine „soziale Eiszeit“ angebrochen. Die Vereinbarung sei „unsozial, unbezahlbar und unverbesserlich“, die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke „Wahnsinn“.
Von einer „versteckten Umverteilung von unten nach oben“ sprach DGB-Chef Michael Sommer. Positiv wertete er, dass beim Kündigungsschutz und der betrieblichen Mitbestimmung alles beim Alten bleiben soll. Allerdings hätte Schwarz-Gelb bei der Gesundheits- und Pflegeversicherung durch das Einfrieren der Arbeitgeberbeiträge und die geplanten Pauschalbeiträge für Versicherte den Abschied von der solidarischen Versicherung eingeleitet.
Durch die Ablehnung weiterer Mindestlöhne und die Überprüfung der bestehenden verschärfe sich die Armut hierzulande, sagte Frank Bsirske, Chef der Gewerkschaft Ver.di. Die Ausweitung befristeter Beschäftigungsverhältnisse sorge zudem für mehr Unsicherheit bei den Arbeitnehmern. Schwarz-Gelb stelle „Profit vor Gemeinwohl“, erklärte der Gewerkschafts-Chef.
Sozialverbände wie die Volkssolidarität und der Sozialverband Deutschland warnten davor, die bisherige Politik des Sozialabbaus und der Privatisierung der sozialen Sicherungssysteme fortzusetzen. Der Caritasverband forderte eine Nachbesserung bei der Sicherung armer Familien, die weder von der Anhebung des Kindergelds noch der Erhöhung des Steuerfreibetrags profitieren würden.
Mit diesem Koalitionsvertrag gibt Deutschland seine Vorreiterrolle im Umweltschutz auf, glaubt Greenpeace. „Vor allem im Energiebereich, aber auch im Agrar- und Verkehrssektor stellt die künftige Regierung die Interessen von Konzernen eindeutig über den Schutz von Umwelt und Menschen“, sagte Stefan Krug, Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace in Berlin.
Der designierte Außenminister Guido Westerwelle (FDP) reagierte auf die Kritiker säuerlich. Wer die Erhöhungen beim Kindergeld und beim Kinderfreibetrag als kalte Politik bezeichne, „dem ist in seiner Hirnverbranntheit nicht zu helfen“, so Westerwelle. PW