american pie: Die New England Patriots als Überraschungsgast
Wundersamer Underdog
Ein Football-Team, dem so viel Missgeschick widerfährt wie den New England Patriots, landet normalerweise am Ende ganz unten. Und ein Quarterback, der eine solche Saison absolviert wie Drew Bledsoe, weilt zurzeit der Play-offs irgendwo auf Hawaii oder den Bahamas, lässt sich die Sonne auf die Muskeln brennen und fragt sich, was er wohl falsch gemacht hat im Leben. Stattdessen stehen die Patriots am Sonntag in New Orleans in der Super Bowl gegen die St. Louis Rams, und Bledsoe hat zumindest eine kleine Chance, dort das Spiel seines Teams zu dirigieren.
Es waren schon ein kleines, ein großes und noch ein kleines Wunder nötig, um das Team von Coach Bill Belichick dorthin zu bringen, wo fast alle Mannschaften der National Football League (NFL) ihrer eigenen bescheidenen Meinung nach eher hingehören als die Patriots. Letzte Saison hatte die Mannschaft aus Boston nur fünf Partien gewonnen, dann wurde ihr bester Receiver Terry Glenn wegen Disziplinlosigkeit suspendiert. Und im zweiten Match verletzte sich zu allem Überfluss auch noch Star-Quarterback Drew Bledsoe, 1993 als Nummer eins des Drafts nach New England gekommen, mit einem Vertrag über 103 Millionen Dollar ausgestattet und das Mastermind der letzten Super-Bowl-Teilnahme der Patriots 1998, die mit einer Niederlage gegen Green Bay endete.
Die Saison schien gelaufen für das Team der Namenlosen, doch plötzlich erschien das erste kleine Wunder in Gestalt von Reserve-Quarterback Tom Brady, der nicht nur exzellent spielte, sondern auch für prima Laune sorgte. „Manchmal sage ich zu ihm, dass ich es nicht mehr ertrage, jedesmal, wenn ich den Fernseher einschalte, ihn zu sehen, die Kappe falsch rum auf dem Kopf und mit einem Grinsen von einem Ohr zum anderen“, sagt gutmütig Guard Mike Compton. Als Bledsoe nach zehn Spielen mit einer Bilanz von 5:5 wieder fit war, hielt Coach Belichick am Reservisten Brady fest, der prompt die nächsten sieben Matches gewann. Einer der teuersten Quarterbacks der Liga saß plötzlich auf der Bank.
Das große Wunder kam dann vor zweieinhalb Wochen im Schneesturm im Foxboro-Stadion der Patriots. Sekunden vor Schluss des Matches gegen die hochfavorisierten Oakland Raiders lag New England zurück, und Brady verlor den Ball. Finito, dachte jeder, doch aufgrund einer Regel, die niemand richtig versteht und die nun auch abgeschafft werden soll, wurde die Aktion nach Videostudium nur als Fumble gewertet, Brady durfte weitermachen, die Patriots glichen aus und gewannen in der Verlängerung.
Und das letzte kleinere Wunder geschah, als sich Tom Brady im zweiten Viertel des Halbfinales gegen die Pittsburgh Steelers leicht verletzte. Plötzlich stand wieder Bledsoe auf dem Platz und spielte, als sei er nie weg gewesen. Nicht sensationell, aber im Gegensatz zu seinem Gegenüber Kordell Stewart fehlerfrei, klug und effektiv. Den von Brady begonnenen Spielzug führte er zum Touch-down, den Rest erledigten die Defense und die Special Teams, die Touch-downs aus einem Punt Return und einem geblockten Field Goal zustande brachten.
Natürlich gehen die Patriots trotzdem als Außenseiter in die Super Bowl gegen die St. Louis Rams, die glanzvollen Dominatoren dieser NFL-Saison. Sie hoffen jedoch, dass ihnen wie gegen die Steelers, die schon vor dem Patriots-Match ihre Reise nach New Orleans organisierten, die Unterschätzung durch den Gegner zugute kommt. „Respekt kriegen wir erst, wenn wir nicht nur in der Super Bowl stehen, sondern sie auch gewinnen“, ist Safety Lawyer Milloy sicher. Vor der Saison hatte USA Today die Chancen der Patriots, den Titel zu holen, mit 1:10.000 beziffert. Ganz so krass sieht die Sache nun nicht mehr aus. Dennoch geht New England mit den drittschlechtesten Quoten aller Zeiten in die Super Bowl. Kleiner Trost: Der größte Underdog der Geschichte, die New York Jets, verließen 1969 gegen Baltimore als Sieger den Platz, und Hippie-Quarterback Joe Namath wurde unsterblich. Ein Schicksal, gegen das sowohl Tom Brady als auch Drew Bledsoe nichts einzuwenden hätten.
MATTI LIESKE
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