: Die Neugier nimmt ab
■ Hamburgs Programmkinos, die Kultursenatorin und die ungewisse Zukunft Von Clemens Gerlach
Jubiläen sorgen nicht immer nur für Freude. Sehr oft sind sie auch Anlaß, ganz nüchtern Bilanz zu ziehen – wie auch im Falle „100 Jahre Kino“. Kommen die einen aus dem Feiern des Dezenniums voll bewegter Bilder nicht mehr heraus, fürchtet manch Hamburger Kinobetreiber, daß für ihn 1995 der Vorhang endgültig fallen könnte. Deren Sorgen sind verständlich, gerade dann, wenn wieder eine Spielstätte geschlossen wurde, wie Ende 1994 das Thalia oder die Vorführung 6 (laut Juliane Holm vom Betreiber Studio Hamburg „nur während des Umbaus“).
Von einem Kinosterben zu sprechen, wäre jedoch zu pauschal. „Die kleinen Betriebe müssen dichtmachen“, differenziert Jens Meyer, Mitbetreiber des 3001 und neuer Regionalsprecher Nord der Arbeitsgemeinschaft Kino e.V. (AG Kino). Angesichts der Pläne für ein Multiplex-Kino am Dammtor (Flebbes Filmfestspielhaus) oder aufwendiger Umbaumaßnahmen des Savoy oder Grindel eine sinnvolle Unterscheidung.
Die ökonomischen Schwierigkeiten der Einzelbetriebe bleiben trotzdem bestehen. „Wer nicht ausreichend in Technik und Komfort investieren kann, hat fast keine Chance mehr“, spricht Meyer stellvertretend für die zehn unabhängigen AG-Kinos (u.a. Abaton, Zeise, B-Movie oder Fama). „Die meisten Programmkinos kommen finanziell nur knapp über die Runden“, ergänzt Michael Conrad vom Alabama, „trotz Idealismus und Eigenini-tiative.“
Die reichen jedoch alleine auf Dauer nicht aus, um den gestiegenen Ansprüchen der Zuschauer gerecht werden zu können: DolbySound und bequemes Gestühl gelten inzwischen als Standard. Da sind die im Hauptverband Deutsche Filmtheater (HBF) zusammengeschlossenen Kommerz-Kinos natürlich im Vorteil. Zudem hat es das sogenannte „bessere Kino“ schwerer denn je. „Immer mehr Leute gucken sich immer weniger Filme an“, hat Matthias Ellwart vom Abaton erkannt, „die Neugier auf Außergewöhnliches nimmt ab.“ Auf diesen schon lange anhaltenden Konzentrationsprozeß haben die meisten Programmkinos, die in der Regel mit den verschnarchten Stadtteilspielstätten der 80er-Jahre nur noch den Namen gemein haben, verstärkt mit dem Abspielen von Erstaufführungen reagiert. „Ohne die Einnahmen aus neuangelaufenen Major-Filmen sind riskantere Sachen nicht machbar“, sagt Hans-Peter Jansen vom Luruper Fama. Diese Mischkalkulation ist typisch für die gewerblichen Kinos, die nicht an die großen innenstädtischen Filmhäuser heranreichen können.
Für Jansen und viele seiner Hamburger Kollegen ist unter diesen Bedingungen die Förderung durch die Kulturbehörde unverzichtbar. Spezielle Länder-Reihen waren nur deshalb möglich, weil die Stadt Zuschüsse für Werbung und Programmzettel gab. Insgesamt standen 1994 für die Förderung von Abspielstätten (Investitionsdarlehen und Zuschüsse für besondere Ereignisse) – einschließlich des Kommunalen Kinos Metropolis – 1,56 Millionen Mark zur Verfügung, wie der Senat dem CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Jürgen Klimke in der Antwort auf dessen Kleine Anfrage Anfang Januar mitteilte.
Für Unmut in der AG sorgte jedoch nicht die Summe, sondern die Behauptung, daß „die Förderungsangebote aus dem Senat nicht bekannten Gründen nicht im möglichen Umfange in Anspruch genommen“ wurden. Von einer „Falschinformation“ spricht Meyer, die, wie er in einem vierseitigen Brief an Kultursenatorin Christina Weiss fordert, „einer öffentlichen Korrektur“ bedürfe. Nach seiner Rechnung wurde von den beantragten 310.000 Mark fast ein Drittel nicht bewilligt.
Auch sonst steht es – seit längerem – zwischen AG und Kulturbehörde nicht zum besten (siehe nebenstehendes Interview). Neuer Höhepunkt: In seinem Schreiben wirft die AG der Kulturbehörde „eine wenig engagierte Haltung in Sachen Kinokultur“ vor. Dazu Pressesprecher Tim Schleider gestern gegenüber der taz: „Die Senatorin hatte noch keine Gelegenheit, den Brief zu lesen. Da er im übrigen der Presse vorliegt, kann das kein ernstgemeinter Gesprächswunsch sein.“
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