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Die Nato ist das kleinere Übel

Drin bleiben in der Nato, fordert der Fraktionssprecher der grünen Bundestagsfraktion und ehemalige Daimler-Benz-Arbeiter Willi Hoss (60) / Die Partei hat auf dem Parteitag in Hagen gerade das Gegenteil beschlossen  ■ I N T E RV I E W

taz: Der Hagener Parteitag hat mit großer Mehrheit erneut den Austritt aus der Nato bekräftigt. Alles bewegt sich, nur die Grünen beharren auf alten Wahrheiten?

Willi Hoss: Für mich, der seit 1945 in der Deutschland-Frage aktiv war, ist das unerträglich. Ich lasse mich auch nicht zum Papagei machen, der Beschlüsse herunterbetet. Nach dem Krieg war ich engagiert für die Erhaltung eines einheitlichen antifaschistischen Deutschlands, gegen die Spaltung in die Militärblöcke; im kalten Krieg dagegen war es ungeheuer wichtig, für die gegenseitige Anerkennung von BRD und DDR einzutreten, um die Kriegsgefahr zu bannen; jetzt sind wir in der dritten Phase: Wir stehen vor der Auflösung der Militärblöcke in einer Weise, wie wir sie nicht vorhergesehen haben. sie werden nicht verhandlungsmäßig Schritt für Schritt zugunsten eines neuen europäischen Sicherheitssystem heruntergefahren, sondern der Warschauer Pakt hat sich destabilisiert und die Nato steht als Sieger da. Wir müssen außerdem überlegen, wie wir angesichts des überaus schnellen Einigungsprozesses die für andere Staaten belastende und bedrückende ungeheure ökonomische Potenz Deutschlands europäisch einbinden können. In dieser Situation bin ich für eine bislang von den Grünen abgelehnte Integration von nationalen Souveränitäten in die EG hinein, die aber eine gesamteuropäische Orientierung bekommen muß.

Bedeutet das auch, daß zum jetzigen Zeitpunkt die Forderung „Raus aus der Nato“ kontraproduktiv und gefährlich wird?

Das kann es bedeuten. Ich bin strikt dagegen, daß ein souveränes Deutschland eine Armee unter deutschem Oberkommando hat. Da ist es mir lieber, daß wir in der Nato eingebunden bleiben - wenn das Teil einer Politik ist, die ein neues europäisches Sicherheitssystem bei radikaler Abrüstung auf beiden Seiten anstrebt.

Also Nato-Mitgliedschaft für eine Übergangszeit?

Ja. Schließlich müssen wir zur Kenntnis nehmen, daß die Schaffung eines neuen europäischen Sicherheitssystems etliche Jahre in Anspruch nimmt und die Abrüstung der beiden Armeen länger braucht als der deutsche Einigungsprozeß. Die Nato ist ein Militärbündnis und ich denke garnicht daran, mich mit solchen Militärbündnissen anzufreunden. Aber bei der Aussicht eines deutschen Oberbefehls ist die Nato das kleinere Übel. Zumal es ja nicht darum geht, in die Nato einzutreten: Wir sind ja drin. Es geht nur darum, wie kommen wir raus.

Die Realos sind in Hagen mit ihrer auf die Ökologie konzentrierten Präambel für das Bundestagswahlprogramm gescheitert. Wie bewerten Sie das vier Wochen danach?

Wenn ich von den Strömungen und ihren Aufgeregtheiten absehe, kann man die Tendenz von Hagen akzeptieren; da wird wie bei dem abgelehnten realpolitischen Antrag die Ökologie wieder mehr in den Mittelpunkt gestellt. Formulierungen die hervorgezerrt wurden, wie der Satz mit der Hafenstraße, sind irritierend, aber es ist eine Betonung der Ökologie gegenüber dem bisherigen Gemischtwarenladen.

Viel Lärm um nichts also?

Die Strömungsvertreter haben ihr Herzblut da drin, und wenn die eigenen Dinge nicht buchstabengenau eintreten, dann meint man, die Welt sei zusammengebrochen. Das heißt nicht, daß es nicht ernsthafte Auseinandersetzungen gibt beispielsweise über die gesamtdeutsche Zukunft der Grünen. Da gibt es Differenzen, die muß man hart und klar formulieren. Den von den Parteilinken Reents und Krieger vertretenen Weg einer Oppositionskonferenz, wo wir alles noch einmal offen halten wie in der grünen Gründungsphase auch für die PDS -, gehe ich nicht mit. Ich bin nicht bereit, die Auseinandersetzung noch einmal mit denen zu fahren, die nicht den Weg gehen wollen, aus der kapitalistischen Gesellschaft heraus auf gewaltlose Weise eine neue ökologisch und sozial bestimmte Gesellschaft aufzubauen.

Die große Mehrheit der Hagener Delegierten - wie auch die Linken Jutta Ditfurth oder Thomas Ebermann - haben doch mit der PDS nichts am Hut. Sie haben nur eine Ausgrenzung der Linken abgelehnt.

Die Resolution ist gut in dem Teil, der die PDS betrifft. Daß aber die Oppositionskonferenz beschlossen wurde, ist ungeheuer belastend. Unsere Resolution, die sich gegen eine Neuauflage eines „linksgrünen Bündnisses“ wandte, hatte allerdings den Mangel, daß sie zu undifferenziert das Wort „links“ verwendet hat. Dabei besteht das Wort „links“ in der Geschichte der Arbeiterbewegung mindestens zur Hälfte aus Machtanmaßung, Minderheitenunterdrückung und Gewaltherrschaft - und dann besteht es aus der Hoffnung auf eine solidarische, menschliche Gesellschaft. Seit der Revolution in der DDR gibt es eine neue Definition: jede grüne Partei muß zusammengesetzt sein aus einer Menschenrechts-, Demokratie-, Bürgerrechts- und Ökologiebewegung. Das stelle ich dem alten „links“ gegenüber. Das ist eine inhaltliche Abgrenzung gegenüber Krieger und Reents, zu der sie Stellung nehmen müssen. Das Gespräch führte Gerd Nowakowsk

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