: Die NRW-Grünen rackern um jede Stimme
Der Wahlkampf der nordrhein-westfälischen Grünen steht im Schatten der Deutschlandpolitik / Dritter Anlauf zum Düsseldorfer Landtag: Mit den Schwerpunkten Umwelt- und Abfallpolitik soll die Fünf-Prozent-Hürde übersprungen werden ■ Aus Essen Bettina Markmeyer
Neben der Tür hat jemand einen Staubsauger stehengelassen, Kaffee holen sich die Gäste selbst aus der Küche. Bärbel Höhn, Spitzenkandidatin der nordrhein-westfälischen Grünen, spricht von ihrem Platz aus. Ein Podium gibt es nicht, die Holztische stehen familiär im Viereck. 25 Interessierte sind an diesem Mittwoch ins Initiativenzentrum von Gelsenkirchen gekommen. Eine dreiviertel Stunde hat Bärbel Höhn geredet. Jetzt kommt der Augenblick der Schweigsamkeit, bis sich jemand zur ersten Frage entschließt.
Etwa um die gleiche Zeit bricht Oskar Lafontaine auf der Bühne der Köln-Mülheimer Stadthalle, von einem Messerstich schwer verletzt, neben Johannes Rau zusammen. Dicht gedrängt in der zu kleinen Halle haben ihn gerade noch über 3.000 Menschen beklatscht und bejubelt. Seine frei gehaltene, ironische und aggressive Rede ist angekommen. Ohne das Attentat wäre es ein guter Wahlkampfabend gewesen für Nordrhein-Westfalens SPD.
Der intime Zirkel in Gelsenkirchen übt unterdessen Selbstkritik. Ein bebrillter Bärtiger bemerkt, der grüne Wahlkampf sei „viel zu intellektuell“, und die NRW-Ökopartei sei nicht präsent: „Die Grünen in Gelsenkirchen kenne ich gut; daß es Bundesgrüne gibt, ist schon wegen der ständigen Streitereien nicht zu übersehen - aber von den Landesgrünen hört man nichts.“ Wichtig für den grünen Wahlkampf, philosophiert der Bärtige weiter, wäre es, „einen richtigen Knüller zu haben“. Manöverkritik auf einer Wahlkampfveranstaltung, so etwas wäre bei den NRW-Sozis undenkbar.
Daß die Grünen weder mit Knüllern aufwarten noch mit vollen Sälen rechnen können, weiß Bärbel Höhn, die bis zum Wahltag am 13. Mai Abend für Abend durchs Land tingelt: „Die Leute kommen nicht deshalb, weil ich nun Spitzenkandidatin bin.“ Selbst grüne KommunalpolitikerInnen kennen ihre Frontfrau nicht: ein Parteiaktivist in Krefeld hat die Nummer eins zwar zu einer Diskussion über Müllpolitik eingeladen, läßt sich von ihrem Auftritt jedoch „überraschen“.
Deshalb frustriert zu sein, käme Bärbel Höhn nicht in den Sinn. Die Diplommathematikerin, die mit Mann und zwei Kindern in Oberhausen lebt, ist eine ausdauernde Malocherin. Sachkundig, freundlich und mit einem guten Draht zu ihrem Publikum absolviert sie den „themenbezogenen Wahlkampf“ der NRW-Grünen: Wirtschaft, neue Technologien, Abfall und Hochschulpolitik sind die Schwerpunkte.
In diesen Wochen redet sie fast jeden Abend über die Müllberge der Industriegesellschaft. „Den Widerstand gegen die Müllverbrennung zu organisieren“, haben die Grünen zu einem Schwerpunkt ihres NRW-Wahlkampfs gemacht. Bärbel Höhn hat daran maßgeblich Anteil. Während der über allem schwebende Landesvater Rau auch von den Grünen nicht attackiert wird, hat sie NRW-Umweltminister Klaus Matthiesen zu ihrem Hauptgegner im Wahlkampf erklärt. Über 60 Bürgerinitiativen wehren sich landesweit gegen den von Matthiesen massiv betriebenen Ausbau der als Dioxinerzeuger verschrieenen Müllverbrennungsanlagen. Die 37jährige ist davon überzeugt, „daß wir nur auf die Bürgerinitiativen und den Druck von unten setzen können“.
Gleichwohl hat sie, obwohl bei den Grünen als Linke eingeordnet, frühzeitig ein Koalitionsangebot an die SPD unterstützt. Höhn, selbst Mitbegründerin einer Bürgerinitiative gegen eine Giftmüllverbrennungsanlage in Oberhausen, dort auch Ratsfrau und Gewerkschafterin, denkt pragmatisch: Zwar sei eine Koalition „mit der Beton-SPD in NRW absolut unrealistisch“, doch wenn die Grünen die SPD zur sozialen und ökologischen Kursänderung zwingen könnten, sollten sie dies tun. Johannes Rau allerdings hat der Ökopartei eine klare Absage auf ihr Koalitionsangebot erteilt. Taktisch geschickt: Im Wahlkampf von SPD, CDU und FDP kommen die Grünen seither nicht mehr vor, nicht einmal als grüne Chaoten. „Knackpunkte“ für mögliche Verhandlungen nennen die Grünen vor der Wahl denn auch nicht. Zu unwahrscheinlich ist die Aussicht, die Mehrheit der SPD zu brechen, zu groß die Angst, daß die mühsam erzielte Einigung in der kleinen Partei gleich wieder verspielt wird. Wahlumfragen sehen sie derzeit knapp bei 5 Prozent.
Anders als beispielsweise ihre ParteikollegInnen im niedersächsischen Wahlkampf können die NRW-Grünen nicht auf vergangene Erfolge in der Landespolitik verweisen. Kompetenz konnte die Ökopartei in Nordrhein-Westfalen bisher nur auf kommunaler Ebene unter Beweis stellen. Überall sitzen Grüne in Stadträten und Kreistagen, bei der Kommunalwahl erreichten sie landesweit stabile 8 Prozent der Stimmen und sind damit, deutlich vor der FDP, drittstärkste Kraft im Lande. Von ihrem Einzug in den Landtag erhoffen sie sich nicht nur „Bewegung“ in Richtung eines ökologischen und sozialen Umbaus des bevölkerungsreichsten Bundeslandes, sondern auch eine Stärkung ihrer kommunalpolitischen Arbeit.
Entsprechend die Themen: Im sozialen Bereich fordern sie mehr LehrerInnen, Kindergärten, berufliche Förderung von Frauen, einen sozialgebundenen, ökologisch verträglichen Wohnungsbau oder das kommunale Wahlrecht für AusländerInnen. In der Energiepolitik stehen sie für Entflechtungen der Versorgungsunternehmen, um den Kommunen mehr Spielraum für umweltfreundliche Konzepte zu geben. Das gleiche Ziel verfolgen sie mit ihrer Müllpolitik.
Weil Bärbel Höhn als Linke auf Platz eins der Landtagsliste gewählt wurde, kam der Realo Michael Vesper, langjähriger Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, auf Platz zwei. Die NRW-Grünen, in der Vergangenheit durch Selbstzerfleischung bis zur Bedeutungslosigkeit gelähmt, suchten den Ausgleich. „1985 haben wir uns systematisch selbst demontiert“, sagt Bärbel Höhn, die auch damals schon als Landtagskandidatin angetreten war. Der sogenannte Kindersex-Skandal - nach einem grünen Parteitagsbeschluß, der auf Druck von Päderasten Sex mit Kindern ungestraft lassen wollte - und Flügelkämpfe hatten den Grünen den sicher geglaubten Einzug in den Landtag vermasselt.
„Damals war die Stimmung für uns günstig, aber wir haben versagt. Heute ist es umgekehrt: Mit unseren KandidatInnen und unseren Wahlkampfaktionen stehen wir gut da, aber alle Aufmerksamkeit richtet sich auf die große Politik. Staatsmännisches ist gefragt, dagegen kommen wir mit unseren Themen nicht an. Und ohne wenigstens einen Skandal kommen wir in diesem SPD-Land auch nicht in die Medien“, resümiert die grüne Spitzenkandidatin trocken.
Und in den Betrieben zögen die Kollegen über die Grünen her „wie am ersten Tag“, verkündet ein etwa 50jähriger Mann in hellblauer Weste im Gelsenkirchener Initiativenzentrum. Erklären könne er sich das: „Wenn im Fernsehen mal ein Grüner auftaucht, dann redet er über alles mögliche, aber über Arbeit redet er nicht.“ Bärbel Höhn nimmt's gelassen: Sie selbst engagiere sich in der Gewerkschaftsarbeit bei den Grünen. Doch der Schwerpunkt der Partei, gibt sie zu, „liegt tatsächlich woanders“. Im Ballungsraum Ruhrgebiet, wo man lebt, weil man dort arbeitet, gelten die Grünen deshalb weithin noch immer als randständige Umweltexoten.
„NRW braucht Bewegung“ heißt das Wahlkampfmotto der Grünen in einem Bundesland, wo eine satte SPD - wie auf einem grünen Wahlplakat mithilfe eines Dackels karikiert - schlaff im roten Regierungssessel hängt und eine nach Pöstchen und Teilhabe an der Macht geiernde CDU zu einer wirklichen Opposition nicht fähig ist. Aber wenn die Grünen nach dem 13. Mai im NRW-Landtag „die einzige wirkliche Opposition“ (Vorstandssprecherin Beate Scheffler) stellen wollen, müssen sie sich erst mal selbst bewegen. Prominente, die das Volk anziehen, haben sie nicht auf ihrer Liste. Bärbel Höhn und die übrigen LandtagskandidatInnen müssen sich schon selbst zu ihren, häufig nicht zahlreichen, ZuhörerInnen aufmachen ob mit dem Anti-Transrapid-Zug („Tanzrapid“) nach Samba -Rhythmen des Berliner Ufa-Zirkus, mit Schiffen und Greenpeace auf dem Rhein oder Abend für Abend durch Säle, Kulturzentren und Gaststätten. Noch eineinhalb Wochen dauert der Wahlkampf. Eine mühsame Kleinarbeit. Ob sie für den großen Sprung in den Landtag reicht, darüber nehmen selbst die KandidatInnen auf der Liste noch Wetten an.
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