: Die Müden und ihr Held
Christian Welps Wurf zum 79:77 gegen Spanien öffnet den Deutschen den Basketball-Himmel ■ Aus München Holger Gertz
Der Held stand in der Kabinentür und sprach in die Mikrophone, welche sich ihm in ungewohnt großer Zahl entgegenstreckten. Nein, sagte der Held, während der Schweiß unablässig den Körper hinabrann, so etwas sei mit nichts anderem zu vergleichen, diese Freude, die Zuschauer, „das ganze Glück, das wir gehabt haben“. Leise sprach er, bedächtig; der Held war müde und wollte am liebsten allein sein mit sich und seiner großen Tat.
Das ganze Glück der Welt hatte an diesem Abend einen Bund geschlossen mit den deutschen Basketballern im allgemeinen und im besonderen mit Christian Welp. Müde waren die Deutschen im Viertelfinale der EM gegen Spanien und trafen nur selten in den Korb, Mike Jackel gelangen nur fünf Punkte, Henning Harnisch vier, Hansi Gnad acht. Müde waren sie, die Spanier dagegen wirkten ausgeruht und souverän und lange wie die sicheren Sieger. Bis die Uhr auf der großen Anzeigetafel noch 25 Restsekunden anzeigte: 72:70 für Spanien, Welp greift sich den Ball, windet sich an den Gegnern vorbei; ein Korbleger bringt die rettenden Punkte. 72:72, Verlängerung.
Das allein hätte aus dem Spieler Welp noch keinen Helden werden lassen und aus einem spannenden Match keinen unvergeßlichen Reißer. Dazu bedurfte es mehr. 77:77 steht es in der Verlängerung, noch eine knappe halbe Minute bleibt. Spanien in Ballbesitz; die Zeit wollen sie ausspielen, um kurz vor Schluß den entscheidenden Korb zu machen und dem deutschen Team keine Chance zum Gegenzug zu lassen. Da foult Kai Nürnberger, Ignacio Azofra vergibt den Freiwurf, Nürnberger foult wieder, Azofra vergibt erneut. Im Gegenzug kommt der Ball zu Welp, Gebrüll auf den Rängen, Getümmel auf dem Parkett, aber er bleibt ruhig und schickt, fast von der Dreierlinie, den Ball auf den Weg. Noch zwei Sekunden, noch eine, als er durch die Maschen plumpst, ist die Spielzeitanzeige auf null und die Schlußsirene heult: 79:77 gewonnen, Deutschland ist im Halbfinale und Welp ist ein Held.
Ein Held außer Rand und Band. Schreiend läuft er durch die Halle, euphorisch wie Michael Jordan nach dem Titelgewinn der Chicago Bulls. Schließlich hat ihn Kollege Harnisch eingefangen, Hansi Gnad trommelt auf dem Boden herum, Spielmacher Kai Nürnberger – auch er hat ein großes Spiel gemacht – brüllt die Freude und die Anspannung raus. Henning Harnisch kommt für die Jubilatio noch einmal zu Kräften, nachdem er im Spiel der Ausgepumpteste von allen gewesen war.
„Es ist der größte Erfolg im deutschen Basketball“, wird Bundestrainer Svetislav Pesic später sagen, und das ist richtig, unabhängig vom weiteren Verlauf. Selbst wenn das Spiel gegen Griechenland (nach Redaktionsschluß) nicht gewonnen wurde, hat die DBB-Auswahl mit der Qualifikation für das Semifinale auch das Teilnahmerecht an der WM 1994 in Toronto erstritten. Vergessen sind Vor- und Zwischenrunde, als sich die Deutschen mit viel Krampf und etwas Geschick in die Endrunde mogelten: „Da haben wir gespielt, um nicht zu verlieren“, sagt Pesic. „In der Endrunde spielen wir auf Sieg.“ Der feine Unterschied macht den Erfolg.
Die Liste der Helden dieser Nacht kann noch um mindestens zwei Namen ergänzt werden. Auf dem Feld Michael Koch, Dauerläufer aus Leverkusen, der den gefährlichen Spanier Jordi Villacampa unnachgiebig verfolgte und nebenbei noch 13 Punkte machte. Auf der Bank Burkhardt Prigge, eigentlich Junioren-Trainer beim DBB, von Pesic kurz vor der EM als Scouter engagiert. Alle Teams hat Prigge vor dem Championat zigmal beobachtet und sich umfängliche Dossiers über jeden Basketballer angelegt, jede Fertigkeit und alle Schwächen an die deutschen Spieler weitergegeben. Gutes Scouting sei die Basis aller Erfolge, sagt Pesic: „Und unser Mann ist der Beste.“
Betrüblich allein, daß wieder nur 4.000 Zuschauer live in der Halle waren, nur wenig mehr als bei den Partien in Berlin. „Wir haben unseren Beitrag geleistet, damit es in Zukunft mehr werden“, sagt Welp. Ein Held für eine Nacht zu sein reicht ihm nicht. Er hofft auf die Langzeitwirkung seines goldenen Wurfs.
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