: Die Mittelmäßigen
■ Bremens Architekten machen sich öffentlich Gedanken über die Qualität von Architektur. Dabei umschiffen sie ein Thema: die Qualität der Architektur
Ein schlechtes Konzert, ein misslungener Film oder ein mise-rables Theaterstück sind nach einer Weile ausgesessen. Doch in der Architektur ist das völlig anders. Wenn das klobigste und brutalste Gebäudemonstrum erst mal errichtet ist, steht es 30 oder 50 Jahre lang und manchmal bis in alle Ewigkeit da. Trotzdem wird über Architektur sehr viel weniger geredet und geschrieben als über die flüchtigen Künste. Wer dies schon immer für rätselhaft gehalten und keine Gründe dafür gefunden hat, wurde jetzt in der Bremer Architektenkammer aufgeklärt. Denn bei einer Podiumsdiskussion zum konfliktträchtigen Thema „Praktisch, dauerhaft, schön – Qualität in der Alltagsarchitektur“ stellte sich ziemlich schnell heraus: Trotz anderslautender Bekenntnisse wollen die meisten ArchitektInnen gar keine Debatte.
Der Bauunternehmer Klaus Hübotter sorgt zwar noch für einen viel versprechenden Beginn: „Das Sprichwort ,Über Geschmack lässt sich nicht streiten' ist eine Ausrede der Geschmacklosen“, sagt er. Doch dieser Auftakt bleibt folgenlos. Da sitzen neun Architekten und Stadtplaner auf dem Podium und tun auch nach leisem Drängen der Radio-Bremen-Moderatorin Christine Krause genau eines nicht: Über Geschmack streiten.
Dabei müsste man das. Denn es ist (nicht nur) in dieser Stadt nun mal so, dass die aubergine-verklinkerte Eintönigkeit in den Vorzeige-Gewerbegebieten wie Technologie-Park oder „Airport City“ schon als wohltuend gilt. Denn andere Flächen wie das Einkaufszentrum in Habenhausen oder Industriegebiete wie die Hemelinger Marsch werden hemmungslos mit einer Blechkiste nach der anderen vollgestellt. Hinzu kommen die Legoländer mit frei stehenden Einfamilienhäusern im Landhausstil zwischen Weidedamm III und dem Speckgürtel. Mit der „Verwüstung der Vorstädte“ findet Klaus Hübotter – wiederum als einziger – deutliche Worte.
Die Bremer Architekten unter den Podiumsteilnehmern beklagen einen Bedeutungsverlust. Über wohlhabende Bauherrn ohne Geschmack seufzt etwa Magnus Kaminiarz. Geld und ein schnelles Fertigstellungstempo stehen nach Auffassung seines Kollegen Uwe Meier im Vordergrund – und nicht mehr die Gestaltung. Und ein Dritter beklagt, dass Bau-„Kunst“ zunehmend Sache der Bauingenieure ist. Wiederum ist es Klaus Hübotter, der das zurechtrückt: „Ich überblicke 60 Jahre Architektur, und im Prinzip hat sich nichts geändert – ordentliche und charaktervolle Architekten machen nicht jeden Mist mit.“
Doch wo erwirbt man Charakter? In der Ausbildung. Aber die Ausbildenden haben offenbar keinen guten Stand. Noch immer gibt es in der Gesellschaft das Klischee von den ArchitektInnen, die auf ihrer Selbstverwirklichungstour allein nach ihren Vorlieben entwerfen. „Ironischerweise“, so der Architekturprofessor an der Bremer Hochschule für Künste, Uwe Süchting, „haben die Architekten das gleiche Klischee von den Architekturstudenten.“ Zumindest an diesem Klischee scheint etwas dran zu sein: Stadtplaner Robert Lemmen fordert bei Wettbewerben mit Beteiligung von StudentInnen praktikable Lösungen ein und kann die künstlerisch-konzeptionellen Entwürfe wohl schon nicht mehr sehen. Süchting appelliert, auch so etwas zuzulassen. Doch Wilfried Turk, Präsident der Bremer Architektenkammer, wirderspricht ihm: Architekt sein heißt für ihn, vor allem Dienstleister zu sein. Statt Zaha Hadid, Daniel Libeskind und anderen KonstrukteurInnen spektakulärer Gebäude sollten die Nachwuchs-ArchitektInnen also lieber kleinere Brötchen backen.
Mit diesem Bekenntnis zum Pragmatismus belebt der ansonsten sehr meinungsfreudige Turk nicht gerade die Diskussion. Dabei haben gerade die großen Würfe – Libeskinds „Musicon“-Pläne, das Domshof-Café, der Teerhof-Wettbewerb und die Diskussion über die alten Hafenreviere – erst Leben in die Bude gebracht. Wo's in Bremen pragmatisch zugeht, bekommt die Stadt die Architektur, die sie verdient. Nur 30 Prozent der Grundstücke im Neubaugebiet Borgfeld, so beklagen zwei Architekten auf dem Podium, werden bauträgerfrei bebaut. Anderswo ist das Verhältnis umgekehrt. In Tübingen zum Beispiel wird gerade ein ganzer Stadtteil unter möglichst großer Beteiligung der künftigen BewohnerInnen so vielfältig wie möglich entwickelt.
Hier in Bremen aber warnt der Stadtplaner Robert Lemmen davor, Architektur zu überschätzen: „Die wieder aufgebaute Innenstadt von Köln funktioniert. Auch die Sögestraße funktioniert, obwohl man kaum ein Bild von den Häusern im Kopf hat.“ Diese Provokation provoziert keinen Widerspruch.
Nur in einer Frage sind sich die Herren auf dem Podium einig: Die öffentliche Hand muss bei ihren Aufträgen Vorbildfunktion haben. Und es könne nicht sein, dass einige Politiker ohne Rücksprache mit Stadtplanern das schnörkelig-bunte „Symbolon“ oder Symbolikon“ des Wieners Ernst Fuchs für den Teerhof ins Gespräch bringen, nachdem es nach langer Diskussion in Bremen-Nord abgelehnt wurde. „Ich stelle meinen Professoren-Titel zur Verfügung, wenn Herr Fuchs auf dem Teerhof baut“, sagt Klaus Hübotter unter tosendem Beifall und legt sich wieder mit Bremer Politikern an. Christoph Köster
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