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„Die Mehrzahl der Enkel sind schon Opas“

■ Thomas Krüger, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Berlin, über die Ursachen des Wahldesasters und die notwendigen Konsequenzen auf dem kommenden Bundesparteitag

taz: Herr Krüger, gut 23 Prozent der Stimmen für die SPD in Berlin, wo Willy Brandt einst über 60 Prozent geholt hat...

Krüger: Eine herbe Niederlage.

Was sind die Ursachen?

Der Führungsstreit in Bonn hat sich natürlich auch auf die Berliner Wahl niedergeschlagen. Aber man kann einen solchen Absturz nicht allein an dem Sommertheater festmachen. Man muß fragen: Wie hat die SPD in der Großen Koalition ihre Inhalte verkauft, und welche Strategien hat sie den WählerInnen angeboten? Die SPD hat sich eine antikommunistische Kampagne der sechziger Jahre durch die CDU aufzwingen lassen. Sie hat sich von der PDS populistisch durch eine Politik der Sozialdemokratie der siebziger Jahre vorführen lassen und hat der grünen Politik der achtziger Jahre nichts entgegenzusetzen gehabt. Die Frage ist, wie man in den neunziger Jahren eine moderne sozialdemokratische Politik macht.

Gelten die Defizite, die Sie für die Berliner SPD aufzeigen, nicht für die gesamte Partei?

Das zeigt zum einen die Notwendigkeit für eine bundesweite Debatte, die die SPD führen muß. Zum anderen zeigt sich auch ein zu behutsames Vorgehen in Berlin, um aus den Mittellagen herauszukommen: im Westen zwischen CDU und Grünen und im Osten zwischen PDS und CDU. In beiden Fällen hat die SPD schwere Einbußen erlitten und droht zerrieben zu werden. Der SPD ist es nicht gelungen, die Berlin-Partei zu bleiben und die Position, die sie Anfang der neunziger Jahre hatte, auszubauen.

Welche Konsequenzen müssen aus dem Berliner Ergebnis bundesweit gezogen werden?

Die SPD muß eine schonungslose Bestandsanalyse betreiben. Sie darf ihre Position nicht immer in Abgrenzung zu anderen Parteien bestimmen, sondern muß sich auf ihre eigene Programmatik besinnen. Die Inhalte sind anerkannt, das merkt man im Wahlkampf. Die Strategien und die Art und Weise, wie man die Politik der SPD in Szene setzt, werden mittlerweile von den Leuten verhöhnt – und zwar mit Hinweis auf Führungsstreitigkeiten, Personalquerelen und den permanenten Verdacht zu Koalitionen. Die SPD wird nicht mehr an ihren Inhalten gemessen, sie wird verdächtigt, mit der PDS, der CDU oder den Grünen zusammenzugehen. Ihr werden potentielle Koalitionen zur Last gelegt.

Die PDS ist ein Sieger dieser Wahl. Sie fordern einen anderen Umgang mit dieser Partei. Wie soll der aussehen?

Man kann die PDS nicht ausgrenzen, wie man es mit den „Republikanern“ getan hat, und sie als reine Protestpartei etikettieren. Die PDS ist in der Bevölkerung verankert und deswegen eine Art Volkspartei. Die SPD muß sich unbedingt mit den inhaltlichen Positionen der PDS auseinandersetzen. Gysis Schummeltrupp tritt mit einem SPD-Programm der siebziger Jahre an. Die Auseinandersetzung mit der PDS ist gewissermaßen eine Auseinandersetzung der SPD mit sich selbst, das heißt mit der Überwindung der eigenen Positionen der siebziger Jahre. Wenn da schlüssige Antworten gefunden werden, kann die SPD eine Perspektive entwickeln.

Gehört zum anderen Umgang auch eine rot-grüne Koalition unter Tolerierung der PDS?

Nein. Die SPD hat sich klar darauf festgelegt, daß das nicht in Frage kommt, und sie hat von den Wählern dafür auch keinen Auftrag bekommen. Sie muß eher darüber nachdenken, ob sie eine Große Koalition fortsetzen kann. Und das wird nicht so einfach gehen. Die CDU muß nach der antikommunistischen Kampagne wenigstens sagen, wie sie mit ihren Klassenfeinden in der SPD zusammengehen will.

Damit scheint Berlins Regierender Diepgen wenig Probleme zu haben.

Aber die SPD. Und Diepgen hat hat keine Mehrheit. Die SPD wird möglicherweise darüber nachdenken, ob sie in die Opposition geht. Dahin, wo die WählerInnen sie geschickt haben. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Basis eine solch herbe Niederlage als „Weiter so!“ versteht. Wenn die SPD wieder in die Große Koalition geht, riskiert sie, ihre Inhalte erneut unter Wert zu verkaufen.

Die SPD hat neben den Nichtwählern viele Stimmen an PDS und Grüne verloren. Was haben diese Parteien, was die SPD nicht hat?

Einen größeren Abstand zur Großen Koalition. Das ist ein Berliner Problem, das ich nicht in Bonn oder in der Personaldebatte sehe.

Ist denn mit einem Parteivorsitzenden, der bei einer Umfrage in einer Skala von 5 bis –5 einen Sympathiewert von –1 erreicht, überhaupt noch Staat zu machen?

Ebensowenig wie man Frau Stahmer für die Niederlage persönlich verantwortlich machen kann, kann man das mit Scharping machen. Das Problem ist die SPD selber. Sie muß ihre Auseinandersetzungen und Querelen auf dem nächsten Bundesparteitag diskutieren. Die Berliner Wahl wird die Basis ermutigen, in Mannheim eine sehr zugespitzte Diskussion zu führen. Danach muß klar sein, wer das Sagen hat. Außerdem darf die Verjüngung der Partei nicht halbherzig betrieben werden. Mein Eindruck ist, daß die Mehrzahl der Enkel schon Opas sind.

Ist die SPD mit 23 Prozent noch eine Volkspartei?

Natürlich. Man kann doch jetzt nicht den Schluß ziehen, daß das nächste Wahlziel die Überwindung der Fünfprozenthürde ist. Interview: Karin Nink, Bonn

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