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Die Maus schluckt den Elefanten

■ Der einst so strahlende Leichtathletikverband der DDR wird vom Aschenputtel aus der BRD annektiert

Berlin (taz/dpa) - Dem DDR-Sport, „einst neben der Stasi das einzig funktionierende System“ ('Stuttgarter Zeitung‘) der Republik, geht es derzeit mächtig an den Kragen. Die dem Deutschen Turn- und Sportbund (DTSB) vom Ministerium zugesagten 103 Millionen laufen äußerst zögerlich ein und die galoppierende Hektik des Vereinigungsprozesses läßt die östlichen Funktionäre schwer aus der Puste geraten. „Das erhöhte Tempo ist ein Riesenproblem“, jammert DTSB -Generalsekretär Jochen Grünwald, eine vernünftige Planung sei so nicht möglich. Klar ist nur die Arbeitsteilung. Während das westdeutsche NOK sich um die Förderung des Spitzensports kümmern soll, das Ministerium um den Breitensport, fällt dem DTSB die Aufgabe zu, „den Verwaltungsapparat abzubauen“, im Klartext: rauszuschmeißen, was nur rauszuschmeißen ist. Die Betroffenen zeigen sich jedoch zunehmend widerborstig. Rund 1.000 Feststellungsklagen entlassener Mitarbeiter, die wenigstens nach einer Abfindung trachten, liegen in der DDR bislang an. Sollte den Klagen entsprochen werden, kämen Forderungen in Millionenhöhe auf den absterbenden Verband zu. Sudden death sozusagen. Die am Donnerstag beschlossene Vereinigung der beiden Leichtathletikverbände erhöht die Zahl der Opfer der Einheit um ein Beträchtliches. Am 24. November soll in Salzgitter der Piratenakt über die Bühne gehen. Der DVfL, der ehemals so mächtige Leichtathletikverband der DDR, hört auf zu existieren, die Landesverbände der fünf neuen DDR-Länder stellen einen Aufnahmeantrag in den westdeutschen DLV, lange Jahre Sinnbild für Mißmanagement, Dilettantentum, Funktionärs -Kabale und notorische Erfolglosigkeit. Die Maus schluckt den Elefanten, und mit ziemlicher Sicherheit wird ihr der Bissen im Halse stecken bleiben.

Die Art der Annektion der DDR-Leichtathletik legt den Verdacht nahe, daß es den BRD-Funktionären weniger darum geht, sich das Wissen und die Erfahrungen des DDR-Sports zunutze zu machen, sondern eher darum, endlich Rache zu nehmen für die jahrelang erduldeten Demütigungen. Während sich die reichen Westdeutschen gemütlich in Positur setzten, um von der Höhe ihres Bruttosozialproduktes auf die arme DDR herabzusehen, rannte die ihnen einfach davon. Degoutant. Das sollen sie uns nun büßen. „Es wäre schön, wenn aus einer Leichtathletik und noch einer Leichtathletik eine zweimal stärkere Leichtathletik würde“, sagte DVfL-Präsident Gerd Schröter traurig, „aber ich fürchte, das wird nichts.“ Spitzentrainer und hochkarätige Fachleute werden ins Ausland vergrault, von den ehemals 592 Trainern aus der DDR werden nur rund 50 in den neuen Verband übernommen. „Es ist schon schlimm, wenn man bedenkt, wer da über die Klinge springen muß“, zeigte auch DLV-Sportwart Manfred Steinbach Mitleid, während Schröter, der sich für einen Verbleib der Hälfte des bisherigen Trainerkontigents ausgesprochen hatte, zornig war: „Das Ergebnis ist unbefriedigend. Ich bin ernüchtert und enttäuscht“.

Auch bei den Funktionären wird kräftig abgespeckt. Von 44 Mitarbeitern des DVfL-Generalsekretariats bleiben fünf übrig, von den 18 Mitarbeitern im renommierten Wissenschaftlichen Zentrum Leipzig gerade vier. „Wir werden in jede Kommission, jede Arbeitsgruppe und auch ins Präsidium Mitarbeiter aus der DDR eingliedern“ versprach DLV -Präsident Helmut Meyer, „aber etwa im Verhältnis der Stimmen beim Verbandstag“. In sehr bescheidenem Ausmaß also. Der DLV verwahrt sich allerdings strikt gegen den Vorwurf, „Totengräber der DDR-Leichtathletik“ (Generalsekretär Jan Kern) zu sein, verweist auf seine eigenen begrenzten Mittel und schiebt den schwarzen Peter den Politikern zu. Vom Bonner Innenministerium werden die bundesdeutschen Leichtathleten denkbar kurz gehalten und können sich gerade 16 hauptamtliche Trainer leisten. „Woher soll das Geld kommen“, bringt Helmut Meyer die Problematik auf den Punkt.

In der DDR-Leichtathletik herrscht jedenfalls Katerstimmung und der umtriebige Primo Nebiolo, skandalumrauschter Präsident des Internationalen Leichtathletikverbandes, wird in den östlichen Gefilden der deutschen Lande nicht gerade auf Begeisterung gestoßen sein mit seinem Vorschlag, doch alsbald eine „Wiedervereinigungsfeier“ zu veranstalten.

Matti

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