piwik no script img

Die Mauer ist ein Konstrukt“

■  Im Rahmen einer Forschungsarbeit untersuchten Studenten der Humboldt-Uni entlang der ehemaligen Berliner Grenze Nachbarschaftsbeziehungen. Fazit: Ost-West-Probleme gibt es nicht

taz: Frau Mayr, Sie haben an dem Nachbarschaftsprojekt ihrer Universität mitgearbeitet. Wie sind Sie und ihre Kommilitonen an das Thema herangegangen?

Tonja Mayr: Der Gedanke war, dass man 10 Jahre nach dem Fall der Mauer in einem ehemaligen Grenzgebiet schauen wollte, wie sich das Gebiet verändert, ob die Anwohner beider Seiten Kontakt zueinander bekommen haben. Wichtig war, dass wir keine These im Kopf hatten und uns auf das einlassen konnten, was wir im „Forschungsfeld“ vorgefunden haben. Die einzelnen Studenten haben sich dann unterschiedliche Schwerpunkte gesucht, etwa Interviews in einem Nachbarschaftsheim oder Jugendliche im Grenzgebiet. Dann haben wir die Pfarrer zweier Kirchengemeinden interviewt, die im Untersuchungsgebiet liegen.

Spielen die Mauer und die damit verbundene Zeit der Teilung in den Schilderungen der Anwohner eine besonders hervorgehobene Rolle?

Teilweise. Nicht bei allen. Eine ältere Frau zum Beispiel sagte, dass die Mauer dann weiter bestehen bliebe, wenn man nach ihr fragt. Den Eindruck hatte ich selbst auch. Wenn man das immer wieder zum Thema macht, konstruiert man eine Mauer, die selbst gar nicht mehr da ist. Es gab aber auch unter den Neuköllner Jugendlichen welche, die gesagt haben, mit den Treptowern wollen wir nichts zu tun haben. Und das, obwohl sie selbst in ihrer Gruppe ein oder zwei Mädchen aus dem Osten dabeihatten. Die waren dann aber die Ausnahme. Es gab aber auch Gewerbetreibende, die gesagt haben, dass das mit der Mauer nicht mehr das Problem ist, dass etwas zusammenwächst.

Können Sie die Differenzen beziehungsweise Annäherungen unter den Nachbarschaften bestimmten Altergruppen und Milieus zugeordnen?

Manchmal waren es die älteren Leute, die zum Beispiel ein Problem damit hatten, dass jetzt so viele Ausländer auch nach Treptow kommen. Aber insgesamt habe ich den Eindruck, dass das gar nicht so sehr vom Alter oder vom Milieu abhängt, sondern damit zu tun hat, ob man mit seinem Leben zufrieden ist. Dann spielt das mit der Mauer auch gar keine solche Rolle, dann sind die Leute auch offener für andere. Leute, die dagegen eher benachteiligt oder verunsichert sind, haben da mehr Probleme.

Gibt es Orte, an denen keine Unterschiede zwischen Ost und West feststellbar sind?

Wir haben auch in einer Eckkneipe ein Interview gemacht, direkt am Mauerstreifen, und da haben die Leute gesagt, dass sich das da schon sehr gemischt hat. Wo man die Unterschiede gar nicht mehr merkt, sind Kinder. Und Hunde (lacht). Auf dem Mauerstreifen gibt es ja auch einen Abenteuerspielplatz und einen Kinderzirkus, da kommen Ost und West zusammen. Da lernen sich dann auch die Eltern der Kinder kennen.Das funktioniert ganz gut. Auch der Treptower Park wird von den Bewohnern beider Seiten genutzt. Und ins neue Einkaufszentrum „Park Center“ in Treptow kommen auch viele Neuköllner, die nicht mehr auf der Karl-Marx-Straße einkaufen wollen.

Haben Sie untersucht, ob sich die Bevölkerung von Neukölln und Treptow bereits vermischt hat?

Nicht direkt. Einige Studenten haben aber so genannte Mental Maps angefertigt, an denen sie sehen konnten, wie sich die Wege verändern, wie das Gebiet benutzt wird. Da gab es schon Unterschiede. Man kann sagen, dass der Aktionsradius bei den Jüngeren weitaus größer ist und viele Ältere sich doch eher in ihrem Gebiet aufhalten.

Sind das spezielle Ost-West-Probleme, oder gibt es Berührungsängste auch zwischen Nachbarschaften, die in einer der Stadthälften liegen?

Die gibt es auch dort, natürlich. Das ist nicht in erster Linie ein Ost-West-Problem, sondern das Problem von Nachbarschaften in der Großstadt allgemein.

Sie haben in einer 24-Stunden-Aktion auf dem Mauerstreifen ein Wohnzimmer aufgebaut, in dem sich beide Seiten treffen konnten. Was konnten Sie in der Zeit beobachten?

Wir haben uns mit einem Zelt 24 Stunden auf dem Mauerstreifen niedergelassen, Sessel und Sofas aufgestellt, einenFernseher angeschlossen, haben den Leute Kaffee angeboten. Wer zuerst kam, war die so genannte Latino-Boy-Gang, das sind überwiegend türkische Jugendliche aus Neukölln, die normalerweise auf dem Mauerstreifen rumhängen. Die haben dann gekuckt und so. Dann haben wir auch Gästebuch geführt. Da haben Leute reingeschrieben, dass man so was mal wieder machen sollte, dann würde das mit der Nachbarschaft auch besser werden.

Ist Nachbarschaft eine Frage des Angebots?

Schon, aber die Begegnungsmöglichkeiten sind immer sehr gruppenspezifisch. Was uns geholfen hat, war, dass wir uns mit unserem Wohnzimmer in einer neutralen Zone befanden, wo jeder hinkommen konnte. Sonst haben die verschiedenen Gruppen nicht viel miteinander zu tun, Ältere gehen in keinen Jugendclub.

Welche Erfahrungen haben die türkischen Jugendlichen mit den Treptowern gemacht?

Die Latino-Boys haben gesagt, dass sie mit den Treptowern nichts zu tun hätten, wegen irgendwelcher Geschichten aus der Vergangenheit. Dann sind die Trptower für sie auch als rechts verschrien.

Welche Stichworte sind denn bei Ihrer 24-Stunden-Aktion gefallen?

Dass es besser sein könnte mit der Nachbarschaft, ohne dass die Leute allerdings konkret gesagt hätten, was sich denn dafür ändern müsste.

Dann wurde gesagt, dass die Oma nebenan stirbt, ohne dass es jemand merkt. Jeder denkt, dass er gucken muss, wo er bleibt. Die Jugendlichen fühlen sich von ihren älteren Nachbarn gegängelt, weil sie nichts machen dürfen.

Überlagern die normalen und alltäglichen Nachbarschaftsprobleme die Ost-West-Unterschiede?

Ohne für das gesamte Forschungsprojekt sprechen zu wollen, würde ich persönlich schon sagen: Ja. Das ist oft kein Ost-West-Problem, sondern ein städtisches Problem, was da auftaucht. Das gilt ja auch für die Anonymität. Die hat ja auch etwas Positives. Viele kommen deswegen in die Großstadt.

Ähnliche Probleme können also zwischen allen Nachbarn auftauchen.

Ja klar. Es gibt ja auch Kiezpatriotismus innerhalb mancher Bezirke. In Friedrichshain zum Beispiel redet man vom Nord- und vom Südkiez, weil beide durch die Frankfurter Allee getrennt werden. Interview: Uwe Rada

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen