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Archiv-Artikel

„Die Lust wird nicht beeinträchtigt“

INTERVIEW Die US-Schauspielerin Angelina Jolie hat sich aus Angst vor Krebs ihre Brüste amputieren lassen. Ein mutiger Schritt, findet die Gynäkologin Marion Kiechle

Marion Kiechle

■ Die 53-Jährige war 1999 die erste Frau, die in Deutschland einen Gynäkologie-Lehrstuhl bekam. Sie ist Direktorin der Frauenklinik rechts der Isar der Technischen Universität München und arbeitet mit dem Schwerpunkt Onkologie.

INTERVIEW HEIDE OESTREICH

taz: Frau Kiechle, Angelina Jolies Entscheidung, sich das Brustgewebe entfernen zu lassen, hat viele schockiert. Ist das das übliche Vorgehen in diesen Fällen?

Marion Kiechle: Das ist für eine Frau in ihrer Situation eine realistische Option. Wenn man eine Mutation im BRCA1-Gen hat, dann beträgt in diesen Fällen das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken zwischen 80 und 90 Prozent. Ein weiteres Risiko betrifft den Eierstockkrebs, da ist das Risiko um 40 bis 60 Prozent erhöht. Allerdings tragen nur 5 bis 10 Prozent der Erkrankten diese Mutation in sich.

Ab wann ist eine Familie eine Risikofamilie, in der nach dem Gen gesucht werden sollte?

Wenn mehrere Fälle von Brustkrebs oder Eierstockkrebs aufgetreten sind. In diesen Formenkreis gehört auch der Prostatakrebs bei Männern; wenn der auftritt, dann kann das auch auf das BRCA1-Gen hinweisen. Der Bauchspeicheldrüsenkrebs gehört auch dazu: Wenn zwei dieser Krebsformen in der Familie vorkommen, etwa bei der Großmutter und dem Onkel, davon eine bei einem Menschen unter 50, sollte man sich beraten lassen. Wir haben an allen Universitätsfrauenkliniken eine Tumorrisiko-Sprechstunde dafür.

Wenn der Test positiv ist, wozu raten Sie dann?

Das kommt auf die Situation an und auch auf das Alter. Das Risiko, an Brustkrebs oder Eierstockkrebs zu erkranken, ist im Alter von 30 bis 50 am höchsten.

Was macht eine 20-Jährige mit diesem Wissen?

Sie hat zwei Möglichkeiten: Entweder die, die Frau Jolie gewählt hat, oder sie nimmt an einem intensiven Früherkennungsprogramm teil. Das ist bei Brustkrebs, den man oft schon in einem frühen Stadium erwischt, vertretbar. Ob damit auch das Sterberisiko sinkt, ist unklar. Man weiß nicht, was besser ist.

Aber Angelina Jolie hat doch ihr Krebsrisiko drastisch gesenkt?

Es kann aber sein, dass sie später an einer anderen Form des Krebses stirbt. Das Tückische ist der Eierstockkrebs. Den kann man nicht früh erkennen. Diesem Risiko kann man nur begegnen, indem man sich prophylaktisch die Eierstöcke entfernen lässt.

Das heißt, Frau Jolie steht eine weitere Operation bevor?

Ja, davon können Sie ausgehen. Man sollte das zwischen 40 und 45 machen. Bei der Eierstockentfernung ist bewiesen, dass nach der Operation weniger Frauen an Krebs sterben. 80 Prozent der Frauen, die wir sehen, unterziehen sich dieser Operation. Bei der Brust-OP ist es etwa die Hälfte der Frauen. Die anderen kommen regelmäßig zur Früherkennung, zum Beispiel zu Kernspinuntersuchungen; damit kann man am meisten erkennen.

Nun hört man von aggressiven Krebsformen, die erstaunlich schnell nach einer Mammografie auftauchen. Dieses Risiko besteht weiter, oder?

Ja, das Risiko besteht, aber solche Karzinome sind wirklich eine Rarität, sehr, sehr selten.

Wenn man sich nun zu einer Operation entschlossen hat, folgt dann automatisch der plastische Brustaufbau?

Ja. Das ist mittlerweile Standard auch bei anderen Krebsoperationen.

Das heißt, die Frau, die anstelle einer Brust eine Narbe trägt, ist ein Bild der Vergangenheit?

Ja, wenn sie das möchte, kann sie sich operieren lassen.

Nun hat mit Angelina Jolie eine Frau, die für viele geradezu das Sinnbild von Weiblichkeit ist, diese Operation gewählt. Hilft das Frauen weiter, die ebenfalls diese Mutation in sich tragen?

Ja. Das ist schon mutig von ihr. PR hat sie nicht nötig, also gehe ich davon aus, dass sie die Operation öffentlich gemacht hat, um anderen Frauen zu helfen. Die Frauen tragen ja oft starke Schuldgefühle in sich.

Woran sollen sie schuld sein?

Eventuell haben sie dieses Gen an ihre Kinder weitergegeben. Oder es wird eine Geschwisterreihe getestet, und die eine hat’s, die andere aber nicht. Dann fühlt die zweite sich schuldig gegenüber der ersten. Manche Frauen fühlen sich leicht minderwertig, wenn sie diesen „Makel“ haben. Denen hilft Jolie sicher weiter, das glaube ich schon. Sogar die schöne Angelina kann so ein Problem haben.

Nun fehlt einem mit einer neuen Brust ein großer Teil erogener Zone, oder?

Nein, das ist nur bei etwa 20 Prozent so, bei vielen ist die Brustwarze weiterhin sensibel. Das Sexualleben muss also nicht beeinträchtigt sein.

Wie gehen die PartnerInnen der Frauen mit der Erkrankung um?

Das ist unterschiedlich. Die große Frage ist immer: Ist der Partner empathisch, kann er sich in die Patientin einfühlen? Hilft er der Frau in dieser Situation? Dann geht es den Frauen sehr viel besser, sie sind gefestigter. Es gibt leider Partner, die das nicht können. Oft sind sie sehr unsicher. Und reagieren dann, indem sie die Krankheit bagatellisieren. Dann soll die Frau nicht so viel jammern; „hör auf mit dem Geheule“, so Sätze kommen dann.

Weil sie Angst vor Schwäche haben? Hat das mit dem Männlichkeitsbild zu tun?

Das ist schwer zu sagen. Was ich sagen kann, ist, dass man durchaus Männer, die sich zuerst zurückgezogen haben, wieder heranholen kann. Aber einige Partnerschaften halten die Belastung nicht aus. Sie trennen sich.

Wie kann man mit Kindern gut umgehen in diesem Prozess?

Für Kinder spielt der Test keine Rolle, da die Krebserkrankung erst im Erwachsenenalter auftritt. Wenn sie volljährig sind, sollten sie von ihren Eltern informiert werden und können dann selbst entscheiden: Ich will diesen Test, oder ich will ihn nicht.