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Die Logik der Zensur

Der deutsche Justizminister hat böse E-Mails erhalten. Amerikaner haben ihn mit „Heil Hitler!“ angeredet, weil sie glauben, er habe den Online-Dienst CompuServe gezwungen, Newsgroups zu sperren. Sie irren sich. Der deutsche Justizminister hat mit Hitler nichts zu tun. Er hat sogar ein Recht darauf, solche Briefschreiber wegen Verleumdung zu verklagen. Nur sollte er erkennen, daß der Ruf der Deutschen schlechter ist, als deutsche Politiker wahrhaben wollen – auch das ist im Internet zu lernen.

Auf den neuen deutschen Justizminister kommt damit eine Aufgabe zu, von der er noch wenig zu begreifen scheint. Er muß den Amerikanern sagen, daß in Deutschland niemand zensiert und diskriminiert wird. Auch nicht im Internet, und schon gar nicht dort. Kann er das sagen?

Sein Pressesprecher Bernhard Böhm ist ihm letzte Woche ins Wort gefallen. Böhm meint, Firmen, die einen Zugang zum Internet anbieten, seien für die Inhalte verantwortlich, die sie verbreiten. „Die sind dran“, hat Böhm gesagt. Nachweisen müsse man ihnen nur, daß sie „willentlich“ und „wissentlich“ verbotenes Material zugänglich machen.

Nehmen wir zugunsten des Pressesprechers an, daß er keine Ahnung von Computernetzen hat. Hätte er verstanden, was er sagt, dann hätten die amerikanischen Briefeschreiber recht.

Denn selbstverständlich weiß eine Firma wie CompuServe, daß im Internet verbotene Pornographie verbreitet wird, und selbstverständlich will sie ihren Kunden den Zugang zu ebendiesem Internet öffnen. Daraus folgt, daß sie ihnen mit Willen und Wissen Zugang zu verbotener Pornographie verschafft – übrigens auch jetzt noch, denn auch CompuServe- Kunden können die gesperrten Gruppen lesen. Sie müssen nur einen anderen Rechner anwählen.

Was die amerikanischen Briefeschreiber empört, sind denn auch nicht die Pornos, die sie nicht vermissen. Es ist die Böhmsche Logik. Zu Recht spüren sie darin den Ungeist einer Diktatur, den Versuch einer ebenso totalen wie willkürlichen Kontrolle. Sie läuft darauf hinaus, daß nicht der Staat, sondern mein Provider überwachen muß, was ich im Internet treibe. Er muß sogar meine Briefe lesen, denn er würde sich strafbar machen, wenn er mich mit Willen und Wissen nicht daran hindert, etwas Verbotenes zu tun.

Immerhin besitzt der Justizminister selbst eine E-Mail-Adresse. (Schmidt-Jortzig@mdbl.bn.eu net.de) Das läßt hoffen. Er sollte seine Briefe genau lesen und auch ins Usenet schauen. Vielleicht muß er ein neues Gesetz machen, ein Gesetz, das ausdrücklich verbietet, den Zugang zum Internet unter Strafandrohung zu stellen. Daraus folgt nicht, daß Provider Pornos anbieten müssen, wohl aber, daß sie ihre Kunden nicht kontrollieren dürfen, auch dann nicht, wenn ihnen das Staatsanwälte raten. Nur nach dieser Antwort kann der Fall CompuServe zu den Akten gelegt werden.

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