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Archiv-Artikel

Die Logik der Lethargie

Nach der 1:2-Niederlage gegen Schalke 04 und dem Ende der heimgegentorlosen Rekordzeit will sich der VfL Bochum endlich wieder darauf besinnen, wieder mal 90 Minuten lang Fußball zu spielen

AUS BOCHUM HOLGER PAULER

Trainer haben nach Spielen oftmals eine sehr eigene Sicht der Dinge. Als Bochums Coach Peter Neururer nach der 1:2-Niederlage im Straßenbahnderby gegen den FC Schalke 04 gefragt wurde, ob er nach der frühen Führung seiner Mannschaft diese „pragmatische“, auf Ergebnisverwaltung ausgerichtete Spielweise angeordnet hätte, reagierte er ungehalten. Den Ausdruck „pragmatische Spielweise“ habe er im Fußball noch nie gehört, so Neururer. Die Passivität seiner Spieler in der zweiten Halbzeit sei viel mehr eine Folge des Schalker Drucks gewesen. „Ich hatte aber nie das Gefühl, dass wir aus dem Spiel noch einen Treffer kassieren könnten“, sagte Neururer und schaute mit leerem Blick in die Runde. Plötzlich schien ihm klar zu werden, dass sein Team gerade die große Chance verpasst hatte, einen Konkurrenten im Kampf um die Uefa-Cup-Plätze relativ problemlos auf acht Punkte zu distanzieren. „Nach der ersten Halbzeit habe ich wirklich nicht mehr damit gerechnet“, so Neururer.

Eine Einschätzung, die der überwiegende Teil seiner Spieler wohl zu teilen schien – zumal Bochums Torhüter Rein van Duijnhoven an diesem Nachmittag einen neuen Rekord aufgestellt hatte: 911 Spielminuten ohne Heimgegentor. 13 Minuten mehr hätten für einen Sieg gereicht. Im Gefühl der Unverwundbarkeit aber stellten die Bochumer nach dem Seitenwechsel das Spiel nach vorne völlig ein. Lediglich Kapitän Dariusz Wosz versuchte sich vergeblich als Kämpfer zwischen den Mannschaftsteilen: Thomas Zdebel und Micky Stevic waren am Samstag keine Hilfen, Peter Madsen und Vahid Hashemian hingen in der Luft. Am lethargisch wirkenden Nationalspieler Paul Freier lief das Spiel völlig vorbei.

Die Schalker wurden so von den Gastgebern ins Spiel gebracht: Ewige Ballstafetten, Querpässe, nur zwingend wurde das Spiel nicht. Fast logisch, dass das Spiel durch zwei pragmatische Standards entschieden wurde. „Eigentlich eine Waffe der Bochumer“, sagte Schalke-Trainer Jupp Heynckes, dessen Team beim zweiten Treffer von der dilettantischen Abseitsfalle des VfL profitierte.

Dennoch hatten die Bochumer in der hektischen Schlussphase die Möglichkeit, wenigstens noch einen Punkt zu retten. Aus ihrer Lethargie erwacht, berannten sie das Schalker Tor. Und beinahe wäre ein Querschläger eines Schalker Abwehrspielers im eigenen Tor gelandet. Schalkes Torhüter Volkan Ünlü konnte den Ball mit einem Reflex an die Latte lenken. Der Vertreter des Stammkeepers Frank Rost wurde so unverhofft zum Helden – und machte die vorherigen 89 Minuten vergessen.

Ünlü schien mit dem Spiel völlig überfordert: Er unterlief etliche Flanken, konnte einfachste Bälle nicht festhalten und sorgte so für Chaos bei seinen Abwehrkollegen, die ihren Torhüter aber zumindest in der ersten Hälfte nicht sonderlich unterstützten. „Volkan hat sich schon unter der Woche unnötig unter Druck gesetzt“, sagte Jupp Heynckes, „für ihn als gebürtigen Gelsenkirchener ist ein Derby etwas Besonderes.“ In der zweiten Halbzeit wurde zudem jede Fehlaktion des Schalker Keepers vom Bochumer Anhang mit Ünlü-Sprechchören bedacht. Nach dem Spiel verließ er völlig fertig und unter Tränen kommentarlos das Stadion. Ob er seinen Torhüter zur Halbzeit nicht auswechseln wollte, wurde Jupp Heynckes nach dem Spiel gefragt. „Der Junge ist erst 20 Jahre alt, in acht Jahren beginnt für ihn das beste Torhüteralter“, so Heynckes „ich wollte ihn nicht demontieren.“ Angesichts des längeren Ausfalls von Frank Rost eine pragmatische Sichtweise.

Die Fehler blieben dank der fahrlässigen Bochumer Spielweise ohne Folgen. Die Spieler werden sich wahrscheinlich auch nächste Woche noch fragen, warum sie diese Schwächen nicht ausnutzen wollten und sich lieber auf ihren Mythos der Gegentorimmunität verließen. Wie schon in den Heimspielen gegen Rostock und Mönchengladbach hofften sie, mit wenig Aufwand, das Maximum herausholen zu können. Jetzt ging die Spielweise zum ersten Mal nach hinten los. Aber vielleicht löst gerade dieses Erlebnis die Schere im Kopf und bewegt den VfL dazu, wieder Fußball zu spielen – 90 Minuten lang. Am besten schon nächste Woche in Dortmund: „Wir werden wieder aufstehen nach der Niederlage und haben nächste Woche zum Glück die Möglichkeit, unseren Tabellenplatz zu verteidigen“, hofft Peter Neururer. Die Geschichte hat einen Haken: Die Verteidigung des fünften Platzes gelang den Bochumern auch diesmal – trotz Niederlage. Wiederholung nur bedingt erwünscht.