PRESS-SCHLAG: Die Last des kleinen Berti
■ Hans Hubert Vogts plagen weiterhin Alpträume
Ahaha-urgelgurgelbelgien- hülp!!!“ Schon wieder. Seit Wochen ging das nun schon so. Und jetzt war dieses blöde Spiel gewonnen, und der ging immer noch jede Nacht an die Decke. Und sie auch!
Monika knipste die Nachttischlampe an. „Es ist alles in Ordnung, Hubi“, sagte sie beruhigend. „Du hast nur wieder deinen Alptraum gehabt. Alles ist gut.“ Doch Hubi, sein Reisepaß wies ihn als Hans- Hubert aus, hörte sie gar nicht. Wirr standen blonde Strähnen von seinem Kopf ab, dessen kahle Stellen schweißig glänzten. Sein Gesicht war verzerrt wie damals in Cordoba, unmittelbar nachdem er ins falsche, in Seppels Tor geköpfelt hatte, sein zweites Länderspieltor übrigens, im 96. Bundesadlertrikotspiel. Er delirierte.
Seine Frau versuchte es erneut. „Hubertchen, so bleib doch ruhig, Onkel Hermann hat doch schon vor Wochen gesagt, daß dir nichts passiert, und jetzt bist du doch eh außer Gefahr.“ Als der Name Hermann an Huberts Ohr drang, zuckte dieser kurz aber heftig zusammen. Hahaha, nix passieren, gesagt hatte der Hermann das schon, und in Brüssel sogar noch ein „Berti hat es verdient“ draufgeschleimt, aber ihn konnte er damit nicht täuschen! Er kannte den schlitzäugigen Saarbrücker! Er träumte schließlich jede Nacht von ihm. Von Hermanns Gesicht und von Kaisers Stirnrunzeln nach der Niederlage. Die Abwehr hätte der Hubert konsolidieren müssen, tönte es jede Nacht vom Golfplatzerl her, nicht mit einem Frankfurter Würstchen, sondern mit einem gestandenen Mannsbild „mit internationaler Erfahrung“. Meinte der sich selbst?
Auch in der Torwartfrage machte F. Kaiser ihm Vorhaltungen: Da hätte man mehr Personality gebraucht (Schuhmacher!, Tilkowski!!, Sawitzki!!!), das bloße Ballgefange reiche schon lange nicht mehr aus. Diese Ratte!
Doch nicht nur der trieb ihm den Schweiß aus den Poren. Aus Frankfurt rief ein Stepanovic an, er konnte kaum was verstehen, bei dem Kneipenlärm im Hintergrund, und fragte nach Bein, Sippel und Körbel. Aus München meldete sich ein Hoeneß (Hatte der auch noch was zu melden?) und fragte, ob es klug gewesen sei, auf einen erfahrenen Kämpen wie den Reinhardt Alois zu verzichten. Aus Stuttgart meldete sich ein weiterer Hoeneß mit den Worten „Da'sammer nun davon“, und der Rotblonde rief danach gleich selbst auch noch an, und bedankte sich hämisch für die Nichtnominierung. Hätte er dem bloß nie seine Telefonnummer gegeben! Obwohl, gut war der schon, nur der Matthäus hatte ihn halt nicht recht leiden können und ihn deshalb zuletzt nicht mehr berücksichtigt, was Hubert eigentlich schade fand. Das hatte er dem auch schon mal sagen wollen, doch dann hatte Lothi ihm sein Adreßbuch weggenommen und Matzes Nummer mit einem dicken Filzstift ausgestrichen!
Ja Lothi, und jetzt erzählte er allen, Häßli habe gefehlt. Dieser Lothi! Der Herzogenauracher Dimpel sah sich wohl schon als neuer „Diehmscheff“. Dem würde er es heimzahlen. Aber wie? Vielleicht bei einer oder zwei seiner Freundinnen anschwärzen?
Hach, aber der war ja nicht der einzige! Die ganze Welt telefonierte mit Saarbrücken. Ein Maxe meldete sich aus Wien und merkelte an, ein Rasenmäher sei nun mal kein Mercedes. So raffiniert wollte der sich über die Sponsorenschiene auf seinen Stuhl setzen. Aus Bern rief Ulli Stielike an, um mitzuteilen, er sei mit Xamax allein nicht ausgelastet, Rudi Gutendorf ließ vermelden, er habe bereits einen Flug gebucht, Günter Netzer wollte bei Schalke genauso gekündigt haben wie Jupp Heynckes bei 'Bild‘ und Udo Lattek bei Kölsch.
Selbst Fiffi Kronsbein sollte angeblich schon beim Hermann vorgefühlt haben, Rolf Töpperwien war gerade dabei die Strophen zwei und drei der Nationalhymne zu lernen, und Erwin Kostedde war gesehen worden, wie er vor einem Kreditinstitut plötzlich kehrtmachte. Und in einer Announce in der 'Süddeutschen‘ suchte Katsche Schwarzenbeck einen Pächter für sein Schreibwarengeschäft, „auf unbestimmte Zeit“. Jede Nacht ging das so, und nach dem Spiel war vor dem Spiel!
„Moni“, heulte er plötzlich und hellwach auf, „wirst du mich auch noch lieben und begehren, wenn ich zu Büttgen wieder Werkzeuge mache?“ — „Ach Hubi“, seufzte die Krankenschwester, und sie strich ihm so lange übers Überbein, bis der Kleine schließlich doch eingeschlafen war. Sie aber lag wach und räsonierte darüber, wie grausam doch das Schicksal des kleinen Mannes war, in dessen Händen das Wohl und Wehe einer ganzen und ungeteilten Nation lag, und den diese Verantwortung zu erdrücken drohte. Immerhin, jetzt lag er ruhig. Und das nächste Spiel war erst kurz vor dem Weihnachtsfeste! Vielleicht fand Hubert ja doch maleinige Nächte Schlaf und Seelenfrieden. „Ahaha-urgelgurgelluxemburg-hülp!“ Oh nein, es ging schon wieder los! Peter Unfried
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