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Die Langeweile als Prinzip

■ Der Straßenwahlkampf interessiert die Wähler nicht mehr. In der Informationsgesellschaft verliert der öffentliche Raum immer mehr an Bedeutung

Es riecht nach Alkohol. Die grüne Tischdecke ist durchnäßt, langsam tröpfelt die Feuchtigkeit auf den Boden. Einige der Broschüren, die auf dem Tuch ausgebreitet sind, haben sich in Wellen gelegt. Traurig betrachtet eine welke Sonnenblume die Szenerie.

„Da hat gerade jemand sein Bier ausgekippt“, sagt Elisa Rodé ungerührt. Die Bündnisgrüne geht vor dem Hertie-Kaufhaus an der Neuköllner Karl-Marx-Straße einer Tätigkeit nach, die dem Beruf des Staubsaugervertreters kaum nachsteht. Auch sie muß den Leuten Dinge aufdrängen, die sie nicht haben wollen, muß sich beschimpfen lassen für das Produkt, das sie anbietet: Politik.

Ohnehin finden die Straßenwahlkämpfer eher bei denen ein offenes Ohr, die bereits gut über Politik informiert sind und längst wissen, wo sie am Sonntag ihr Kreuzchen machen werden. Die Präsenz im öffentlichen Raum kann allenfalls dazu dienen, wenig engagierte und nur halb überzeugte Sympathisanten zur Wahlurne zu bewegen. Doch ist das eher ein Problem von CDU und SPD. Bei der bündnisgrünen Klientel ist die Neigung zur Wahlenthaltung wenig ausgeprägt.

Auch die Grünen beschränken sich nicht mehr auf Gespräche und dicke Programmbroschüren. Längst haben an ihren Ständen Luftballons und Kugelschreiber Einzug gehalten. Damit habe man „dem Zeitgeist Rechnung getragen“, meint Landesgeschäftsführer Michael Wartenberg. Um das Publikum im spannungsarmen Berliner Wahlkampf für Politik zu interessieren, „mußt du dir schon was einfallen lassen“.

Das ist bekanntlich nicht die Stärke der SPD. Die Langeweile hat aber Prinzip. „Unser Wahlkampf ist bewußt eher konventionell angelegt“, sagt Stahmer-Sprecher Christian Hoßbach. „Von den Berliner Zeitungen ist die taz am spannendsten, aber sie hat trotzdem nur eine kleine Auflage.“ So sieht es auch Frank Stauß, der bei der Düsseldorfer Werbeagentur Werner Butter an der „Kommunikationsstrategie“ der Bundes-SPD strickt. Im Gegensatz zu anderen Werbetreibenden, die sich an viel kleinere Zielgruppen wenden, müsse eine Volkspartei jeden zweiten Menschen erreichen. Die Firma Benetton kann es sich leisten, den größten Teil des Publikums zu verschrecken. Auch die Grünen könnten viel aggressiver sein. „Für die Aufnahmefähigkeit der Klientel ist ihr Wahlkampf ziemlich langweilig.“

Die Segmentierung der Gesellschaft schafft auch für die Großen neue Möglichkeiten. Beispielsweise könne die SPD in schwulen Medien unbesorgt für Homo- Rechte eintreten, ohne daß es der konservativ gestrickte Wähler mitbekomme. Zudem dürfe Wahlwerbung, die auf eine spezielle Zielgruppe zugeschnitten ist, „auch mal ein humorvolles Element“ enthalten. Das muß sich die SPD auf offener Straße versagen, denn „für viele Leute ist die Wahlentscheidung dafür viel zu ernst“.

Die Informationsgesellschaft wird die Segmentierung der Zielgruppen noch verstärken. Das bedeutet einen Verlust an demokratischer Öffentlichkeit, deren klassischer Ort die Straße ist. Kein Wunder also, daß die Stände auf dem Trottoir von Wahl zu Wahl unwichtiger werden. Man muß derzeit schon eine Weile suchen, um überhaupt einen Tisch zu finden.

Die FDP verfiel voriges Jahr gar auf die Idee, Nachbarschaftsparties in den Wohnungen von Mitgliedern zu organisieren. Auf der Straße will die Partei aber weiterhin Präsenz zeigen, betont Ilona Klein. „Wenn wir nicht da sind, heißt es wieder: Wo bleibt die FDP?“ Szenen wie im vergangenen Bundestagswahlkampf, als die blaugelben Aktivisten von Passanten mit Spott und Häme überzogen wurde, gebe es jetzt nicht mehr. Klagen der Wahlkämpfer über mangelndes Interesse bleiben dennoch nicht aus. „Dann sage ich immer“, so Klein, „wenn sich zehn Prozent für uns interessieren, ist das schon ein gutes Ergebnis.“

Dem Eindruck, daß man diesmal von einem Wahlkampf auf der Straße kaum sprechen kann, mag sich auch der CDU-Sprecher Marco Hardt nicht entziehen. „Die Leute sind nicht besonders polarisiert“, diagnostiziert er. Immerhin will sich die Partei durch das Verschenken von Kühlschrankmagneten ins Gedächtnis des Stimmbürgers graben. Die Idee dazu stammt nicht zufällig aus Amerika. Vor allem im Osten verhielten sich die Wähler wegen ihrer geringen Parteibindung sehr amerikanisch. Sehr weit mag Hardt mit der Imitation der transatlantischen Kampagnen nicht gehen, denn „die Ästhetik ist eine andere“.

Die PDS bietet ihren potentiellen Wählern Radieschen an. „Rot und bissig“, steht auf den Tüten. Daß das Gemüse bloß außen rot, innen aber weiß ist, ist inzwischen auch Wahlkampfleiter Jens-Peter Heuer aufgegangen. Vielleicht hätten bei der Vorbereitung der Kampagne die Brillenputztücher geholfen, die man an den Ständen der Partei bekommt: „Klar. PDS.“ Ralph Bollmann

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