: Die Kuomintang – ein siecher Koloß
■ Taiwans Regierungspartei am Vorabend ihres Kongresses
Hongkong (taz) – Taiwans Regierungspartei, die Kuomintang (KMT), tritt heute in Taipeh zu ihrem alle fünf Jahre stattfindenden einwöchigen Kongreß zusammen. Die Delegierten werden sich damit abfinden müssen, daß die Tage der unbestrittenen Herrschaft ihrer Partei gezählt sind. Zwar wird erwartet, daß Präsident Lee Teng- Hui wieder zum Vorsitzenden gewählt wird, doch gibt es ernste Differenzen in der Partei.
Letzte Woche hatten sieben KMT-Mitglieder ihren Austritt erklärt und die „Neue Partei“ gegründet; unter ihnen sind einige der wichtigsten Stimmenfänger bei den Parlamentswahlen vom Dezember. Einer von ihnen, der frühere Finanzminister Wang Chien- Hsien, beschrieb die Lage als „fast hoffnungslos“. „Ich glaube wirklich, daß die KMT bald die Macht verlieren wird“, erklärte er.
Bei einer Pressekonferenz im Vorfeld des KMT-Kongresses hob Generalsekretär Hsu Shui-Teh die Reformen hervor, die seit dem letzten Treffen 1988 durchgeführt wurden. Taiwan habe mittlerweile ein entwickeltes pluralistisches System mit einem gewählten Parlament und einer relativ freien Presse. Doch für einen Mann von der Spitze einer Partei mit einer soliden Parlamentsmehrheit, die bei einer Gesamtbevölkerung von 21 Millionen Menschen auch noch 2,5 Millionen Mitglieder hat, äußerte sich Hsu Shui-Teh erstaunlich bescheiden: Der Kongreß diskutiere, wie die KMT „ihre Fehler korrigieren, ihre Mängel wiedergutmachen und Versäumtes nachholen“ könne.
Die Ergebnisse der letzten Parlamentswahlen, bei denen die KMT mit „nur“ 53 Prozent der Stimmen ihr bisher schlechtestes Ergebnis erzielte, schockierte die Parteiführung. Es liegt nicht nur an der „Neuen Partei“ und der bereits etablierten und größeren oppositionellen „Demokratischen Fortschrittlichen Partei“ (DPP), daß die KMT bei den kommenden Bürgermeister- und Regionalwahlen im November mit weiteren Rückschlägen rechnet. Beobachter glauben auch, daß die KMT bei den Parlamentswahlen 1995 ihre absolute Mehrheit verlieren wird.
Zwei Hauptkritikpunkte beschäftigen die KMT-Delegierten: zum einen, daß ihre Partei undemokratisch, zum anderen, daß sie korrupt ist. Trotz ihres scharfen Antikommunismus ist die KMT immer noch in gewisser Weise eine leninistische Partei, mit Massenmitgliedschaft, Zentralkomitee und einem Politbüro-ähnlichen ständigen Ausschuß. KritikerInnen merken an, daß diese Struktur womöglich bis 1986 angemessen war, solange Taiwan noch ein Einparteienstaat war, mittlerweile sei dieser Aufbau jedoch ein Anachronismus. Zwischen ParteibürokratInnen und gewählten ParlamentarierInnen tobt jetzt ein Streit, denn die Basis drängt in die oberen Gremien.
Einen Schock versetzte der KMT auch die jüngste Wahlniederlage der Liberalen Demokratischen Partei (LDP) in Japan. In der Vergangenheit hatten einige KMT-Führer die LDP als Modell für die Aufrechterhaltung einer Einparteienregierung in einem Vielparteiensystem angesehen. Jetzt ist die LDP über genau die Probleme gestolpert, denen sich auch die KMT gegenübersieht.
Der Riß in der KMT ist auch Ergebnis eines Interessenkonflikts zwischen der taiwanesischen Bevölkerungsmehrheit, deren Eltern in Taiwan geboren wurden, und der Minderheit von 2 bis 3 Millionen Taiwanesen, deren Eltern Festland-ChinesInnen sind, die während des Bürgerkriegs in den 40er Jahren nach Taiwan geflohen sind. Letztere stellten die traditionelle Machtbasis der Partei. Doch Präsident Lee Teng-Hui betrieb eine Politik der „Taiwanisierung“ der Partei und einer Modifizierung des Ziels der Wiedervereinigung mit der Volksrepublik China. Dies hat den Graben zwischen den beiden Bevölkerungsteilen und innerhalb der Partei vertieft. Die meisten Rebellen von der „Neuen Partei“ kommen denn auch aus „Festland-chinesischen“ Familien. Sie könnten zur Bedrohung für die KMT werden, wenn sie die Unterstützung dieser traditionellen Machtbasis der KMT gewinnen.
KMT-Sprecher bestehen darauf, daß die Partei bis zu den Wahlen 1995 ihr Haus in Ordnung bringen kann. Es scheint ihnen undenkbar, daß die WählerInnen die KMT zurückweisen könnten – nach allem, was die Partei für Taiwans Wirtschaft erreicht hat, und nach der gründlichen Liberalisierung des politischen Systems. Nur wenige akzeptieren offenbar, daß die Verankerung eines Mehrparteiensystems auch zum Regierungswechsel führen könnte. Simon Long
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