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Die Kunst zum Turm

■ Gerhard-Marcks-Haus und Oldenburger Kunstverein präsentieren die „unbekannten“Seiten von Per Kirkeby

Kaum ein Neubau in der Bremer Innenstadt war so umstritten wie Per Kirkebys Turm auf der Domsheide. „Sofort niederreißen“oder „plattmachen“scholl es diesem Beitrag zur Kunst im öffentlichen Raum entgegen, kaum daß 1988 mit seiner Errichtung begonnen wurde. Imzwischen haben sich die Temperamente wieder auf hanseatisches Normalmaß abgekühlt. Und kühl und ruhig wird's bleiben, wenngleich das Bremer Gerhard-Marcks-Haus und der Kunstverein Oldenburg seit gestern – mit fast zehnjähriger Verspätung – die Kunst zum Turm nachliefern.

Einen unbekannten Kirkeby wollten die erstmals eng zusammenarbeitenden AusstellerInnen aus der Hanse- und der Huntestadt nach eigenen Angaben vorstellen. An einen Tisch gebracht durch eine in der Region tätige und als Sponsorin auftretende Bank, konzentrierten sich die OldenburgerInnen und BremerInnen auf das bildhauerische und zeichnerische Werk – Bezüge zum Bremer Turm fehlen ganz, Beziehungen zur künstlerischen Architektur des 1938 in Kopenhagen geborenen Kirkeby erschließen sich erst bei näherem Hinsehen.

Wuchtig ragen zwei Torsi im großen Vorraum des Gerhard-Marcks-Hauses in die Höhe. Vier Dutzend weitere Torsi, Köpfe oder Tore schließen sich an, wobei auf Anraten des Künstlers die großen Arbeiten in den kleinen Räumen und die kleinen in den großen Platz fanden. Schon diese Aufstellung ist ungewöhnlich; noch entscheidender aber ist die Strenge der von Kirkeby selbst vorgeschlagenen Anordnung: Bald fügen sich die Skulpturen zu Quadraten, bald stehen sie sogar wie zum Spalier.

In der Bildhauerei gibt es Riesen, an denen man kaum vorbeikommt. Namen wie Auguste Rodin, Henri Matisse oder Henry Moore stehen für explodierende Formen, berstende Oberflächen, Wege zur Abstraktion oder für das revolutionäre Weitertreiben der Auseinandersetzung mit der Materialität. Bewußt und vor allem sichtbar stellt sich der studierte Geologe Per Kirkeby dieser Tradition. Dies am deutlichsten, wenn er das Äußere seiner immer schwarzen Bronzen so aufwühlt wie vor ihm Rodin.

Gleichwohl scheint es, daß sich Kirkeby aus einer anderen Richtung den Riesen nähert. Sie gebrauchten ihre Hände gleichsam als Sprengsätze gegen die künstlerische Konvention – er formuliert seine Sprache in der „Trümmerlandschaft“künstlerischer Freiheit. Besonders die „Köpfe“, in denen Gesichter immer schillernd erkennbar sind, stehen dafür. Die Konkurrenz zwischen bildnerischem Willen und Unterlassung, zwischen Gestaltung und Rückzug wird hier geradewegs spürbar.

Erst der zweite, im zentralen Ausstellungsraum plazierte Werckomplex tritt in Beziehung zu den Backsteinbauten wie auf der Domsheide. Umgeben von einer Serie der „schwarzen Bilder“mit ihren skizzenhaft auf den schieferähnlichen Untergrund aufgetragenen Farben, sind hier schuhkartongroße Kreuz- und Turmgebäude gruppiert. Kirkeby spielt mit Zitaten aus Archaik bis Romanik. Das Bauen und Bildhauen verschmilzt hier zu Gebäuden einer imaginären Architekturgeschichte. Wo die künstlerischen Konventionen längst zersprengt sind, sucht und erfindet sich der Bildhauer die Vergangenheit selbst.

Christoph Köster

Per Kirkeby – Skulpturen und Zeichnungen im Gerhard-Marcks-Haus; der Kunstverein Oldenburg zeigt erstmals Terrakotten aus Privatbesitz des Künstlers. Beide Ausstellungen sind bis zum 8. Juni zu sehen. Der im positiven Sinn didaktisch konzipierte, Kirkebys Werk einordnende Katalog kostet 42 Mark

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