: Die Kunst spielt Sabotage
■ Die Ausstellung un-frieden thematisiert in ironischer bis bedrohlicher Weise die künstlerische Auseinandersetzung mit Ordnung, Zwang und Krieg
Kreditkarten eines anonymen Künstlers sind die Eintrittskarten, in einer futuristischen Küche gibt es nur Flugzeugverpflegung, vor knallroter Wand werden Pässe für den NSK-Staat ausgestellt, eine Arztpraxis hilft bei medialen Krankheiten wie dem Zig-Zagschen Syndrom und ein automatisches Schnellfeuergewehr droht erhaben auf hohem Sockel: Die Ausstellung un-frieden spielt mit der künstlerischen Sabotage von Wirklichkeiten.
Im Rückgriff auf die vom Fluxuskünstler Robert Filliou 1985 in Hamburg initiierte Biennale des Friedens und der 1991 thematisch erneut darauf bezogenen Ausstellung zum Golfkrieg haben die Hamburger Kunstwissenschaftlerin Ute Vorkoeper und die Berliner Kuratorin Inke Arns die Großveranstaltung im Rahmen der Woche der bildenden Kunst organisiert. Die Gemeinschaftsausstellung von Kunstverein und Kunsthaus soll die Kunst der neunziger Jahre auf die Möglichkeiten prüfen, zunehmend unfriedlichere Realitäten sichtbar zu machen und in bestehende Organisationsformen einzugreifen.
Sechzig Künstlerinnen, Künstler und Künstlergruppen aus aller Welt wurden ausgewählt, 34 davon zeigen größere Arbeiten zu befremdlichem Alltag, medialer Desinformation, rigiden Kontrollmechanismen, repressiver Staatsorganisation und Zukunftsökonomie, die restlichen interessanten Konzepte können in einem eigenen Raum nur als Planung dokumentiert werden.
In sechs Abteilungen von „Alltag“ bis „Science Fiction & Ökonomie“ unterteilt, stellt sich zwischen Simulation und Kritik ein Blick auf unsere Welt dar, der sie den Orwellschen Zukunftsvisionen immer ähnlicher erscheinen läßt. Selbst eine so zeichnerisch schöne Arbeit wie die 24stündige Notation eines Ameisenweges kann nur unter zwanghaften Laborbedingungen entstehen. Tresorpläne und Zensurarchive machen die heimlich wuchernden Ordnungssysteme bewußt und eine Anlage zur Tränenrückführung ökonomisiert den Körper. Nutzlose Fotos großangelegter Spionageprojekte und ein „Verschönerungsministerium“ ironisieren Verwaltungsbemühungen.
Es bleibt zu sehen, inwieweit die Ausstellung, die in ihrer internationalen Breite interessante Anregungen bietet, auch zu Formen findet, die über die Illustration des gesetzten Rahmenthemas hinausgehen. Für die Flucht aus der doppelbödig bis garstig dargestellten Welt ist jedenfalls gesorgt: In der Botschaft von Seborga kann man sich über den Lebensabend in diesem italienischen Kleinstaat informieren, und falls es wirklich schlimm kommt, stellt Kenji Yanobe zwei fahrbare Schutzbehälter mit Überlebensausrüstung zur Verfügung, aber nur gegen Münzeinwurf.
Hajo Schiff Eröffnung: morgen 19 Uhr, Kunstverein und Kunsthaus, Klosterwall 23, bis 19. Januar
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen