: Die Kultur des wohlgepflegten Unkonkreten
Der Kulturminister der DDR, Herbert Schirmer, äußerte im Schatten der Säulen von Pergamon viele Bitten und Wünsche, sagte aber wenig Konkretes zur Kulturpolitik des Übergangs / Die Kulturschaffenden im Saale zeigten sich betreten ■ Aus Berlin Thilo Köhler
Viele waren eingeladen, aber alle, alle kamen. Vertreter sämtlicher künstlerischer Gewerke einschließlich deren technokratischer Verwalter waren gestern vormittag der Einladung des Kulturministers gefolgt, um vieles williger im übrigen offenbar als den dann zum leidlich wohlgesetzten Vortrag gebrachten Ausführungen von Herbert Schirmer.
In den heiligen Hallen des Pergamon-Museums hatten sich mehrere hundert Kulturschaffende versammelt, mit der offenbar aufrichtigen Erwartung, so schien es, etwas über den Stand der Dinge zu erfahren, denn gewiß waren nur wenige aus alter Gewohnheit solcher Offerte gefolgt. Insgesamt allerdings sahen sie sich schmerzlich enttäuscht, denn die häufigsten Formeln in der Rede des neubestallten „Freundes und Mitstreiters“ der Künste, so das Selbstbildnis am Ende der Ausführungen, waren: „Es ist notwendig...“, „ich hoffe und bitte...“, „wir sollten“ und ähnliches. Der seltsamen Mischung aus Konjuktiven, Imperativen und einem ständig verwendeten chimärischen Kollektivum, das vielen bekannt klang, war den Ausführungen kaum mehr zu entnehmen, als daß den Künstlern selbst wieder, wenn nicht der schwarze Peter, so doch der weiße Bauer für den ersten Zug zugeschummelt wurde.
Der Gestus des Beladenen war nur schwer von vielem zu unterscheiden, was auf dem gegenwärtigen Katholikentag in Predigten den zahllosen kleinen Vertretern des Weltgewissens in die gebeutelten Gemüter gesenkt wird. Hatten sich schon durch die Wahl des Ortes manchem Vergleiche aufgedrängt, bei denen nur ein Schelm Arges wähnen konnte, so schufen wenige der „konkreten“ Vorhaben dann doch erleichternde Klarheit. So etwa soll der Berliner Dom eine feste Burg deutsch -deutscher Begegnung werden, neben diesem Heimatmuseum das Folkloreschaffen stärker der Arbeitssicherung der Künstler förderlich sein; die Bibliotheken verdienten besonderes Augenmerk nach all diesen Jahren des Ungeistes (Wissen ist Macht!), und daß gerade den sozial Schwachen diese als Freizeitreservoir weiter zugänglich bleiben, will der Minister tapfer in den Kampf dafür ziehen, dem ehemaligen Kulturfonds eine Sparte der künftigen Arbeitslosenunterstützung für Kunstschaffende zuzugesellen.
Unter dem bekannten Strich blieb mithin als rhetorische Leistung allenfalls jene, sein Referat nicht mit einem Zitat aus der Ästhetik des Widerstandes zu schmücken, und diese Selbstunterdrückung hat denn wohl gerade so einen neuerlichen Exodus der Künste - diesmal aus dem Saale verhindert. Wüßte man nicht so gut in deutscher Physik Bescheid, man müßte den Widerhall der Rede eine Resonanzkatastrophe nennen; beim abschließenden Applaus der Sympathisanten kam man sich vor wie bei ARD und ZDF, wo man ja auch bekanntlich in der ersten Reihe sitzt.
(n.b.: In der Hoffnung, daß der Minister aus Gründen der Tagesform hinter dem zurückblieb, was er am Mittwoch vor dem entsprechenden Volkskammerausschuß zur Sprache gebracht hat, steht er bei der taz im Wort, daß ihren Lesern in einem Interview noch in der nächsten Woche der langersehnte Aufschluß zuteil würde.)
Tilo Köhler
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