Dokumentation: Die Kirchen und ihre Privilegien
■ Wie das größte subventionierte BRD-Unternehmen sich breit- und reich macht
Wenn auch die Kirche ihre Gläubigen verliert, an ihre Privilegien läßt sie niemanden ran. Würde doch so vieles verlorengehen: angefangen von der (über-) lebensnotwendigen Kirchensteuer, die von staatlichen Finanzämtern einzogen wird, bis zu ihrem Recht auf sonntägliches Kirchengeläut.
Die unglückselige Verzahnung von Staat und Kirche nimmt schon bei der Kirchensteuer ihren Anfang. Abgeführt von den Arbeitgebern, eingetrieben bei den staatlichen Finanzämtern, wird der Bürger über die Kirchensteuer gezwungen, sein Bekenntnis zu offenbaren. Was uns zur monatlichen Gewohnheit geworden ist, bedeutet einen eindeutigen Verstoß gegen den Artikel 4 des Grundgesetzes, der die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen Bekenntnisses garantiert.
Die omnipräsente Kirche stützt sich neben dem Steuersäckel des Bürgers vor allem auf staatliche Subventionen. Neben Religionslehrern und katholischen Professoren wird auch die gesamte Militärseelsorge aus allgemeinen Steuermitteln finanziert. Auch die sogenannte „Sonderseelsorge“, wie zum Beispiel Polizei-, Gefängnis- und Krankenhausseelsorge, bestreitet der Staat aus seinen Mitteln.
Obwohl der Staat zahlt, hat bei der Anstellung und Entlassung von Religionslehrern die Kirche doch das letzte Sagen. Keine anderen gesellschaftlichen Institutionen (siehe Gewerkschaften und Kammern) haben einen so weitreichenden Einfluß auf die Ausbildung ihres künftigen Personals wie die Kirche. Gesinnungskontrolle ist Tagesordnung.
Beispiel Wohlfahrt: In vielen Teilen Deutschlands sind soziale Einrichtungen fast zu hundert Prozent in kirchlicher Hand, daß heißt, Hunderttausende von Arbeitnehmern müssen einen kirchlichen „Persilschein“ besitzen. Wird ihre Integrität durch ihren Lebenswandel angezweifelt, kann ohne Grund gekündigt werden. Das allgemeine Arbeitsrecht gilt nicht für kirchlich Beschäftigte. Geschiedene Angestellte, die sich erneut für die Heirat entscheiden oder unverheiratet zusammenleben wollen, droht eine fristlose Entlassung wie auch schwulen Kirchenmitarbeitern.
Erstaunliches Detail, das gerne unter den Tisch gekehrt wird: Bischöfe, Domkapitulare sowie die Oberkirchenräte werden vom jeweiligen Bundesland bezahlt. Für jede Pfarrei springt dabei noch ein Pro-Kopf-Zuschuß zusätzlich zu diesem Gehalt heraus. Auch in den neuen Bundesländern müssen solche Zuschüsse schon berappt werden, obwohl die christlichen Kirchen dort noch Minderheitenstatus haben.
Die Kirche, das größte subventionierte Unternehmen Deutschlands, darf zudem noch kostenlos für sich werben. Bei den öffentlich-rechtlichen wie privaten Radio- und TV-Sendern stehen ihr kostenlose Sendezeiten zu. Zudem sitzen die Kirchenvertreter auf ewig im Rundfunkrat.
Religiöse Grundsätze und kirchliche Interessen sind noch immer geduldete Dauergäste beim Verfassungsrecht und vielen anderen Rechtsbereichen. Die „Neutralität des Staates“, die von der Verfassung geboten wird, wird permanent gebrochen durch Glockengeläute („Emissionen zum Zwecke kirchlicher Werbung“) sowie, bis zum BVG-Urteil letzte Woche, Kreuze in Gerichts- und Sitzungssälen. Julia Seidl
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