: Die Kamera als Psychomaschine
■ Filmemacher als Beutelschneider: Der Mann, der die Sterne macht von Giuseppe Tornatore
Er ist ein Fachmann für Gesichter. „Rechts, links, im Profil.“ Und er verkauft Träume. Als Talent-scout der römischen „Universalia Studios“ reist Dottore Joe Morelli (Sergio Castellito) durch Sizilien und verspricht eine Karriere in Cinecittà. Er ist eben Der Mann, der die Sterne macht. Ob er aber ein Beutelschneider ist, das ist noch nicht ausgemacht.
Denn vor seiner Kamera finden Stumme ihre Worte wieder und Brüder erinnern sich an ihre vergrabene Familiengeschichte. In der bigotten, prä-industriellen Nachkriegsgesellschaft Siziliens lange unterdrückte Gedanken finden vor der unparteiischen Linse Joes an die Oberfläche.
Der schwule Friseur erzählt ihr oder ihm, wie die Nazis seine Gesichtshälfte versengten und das „frühreife Dummchen“ Beata (Tiziana Lodato) hebt vor den Honoratioren die Röcke. Für 300 Lire. Eine Probeaufnahme bei Joe kostet aber 1500 Lire. Doch was ist das schon gegen die 100 Millionen Lire, die Cinecittà garantiert?
Unzählige sizilianische Gesichter stellt Giuseppe Tornatore, seit Cinema Paradiso ebenfalls ein Mann, der die Sterne macht, vor seine Kamera: ausgemergelte Bauern, verträumte Mädchen, steinalte Garibaldi-Veteranen. Pragmatische, traurige und linkische Sizilianer paradieren vor seiner Kamera und vor der des zynischen Talentscouts. In schwelgerischen Fahrten gleitet die Kamera von Dante Spinotti über die Bergdörfer Siziliens und taucht in ihre Gassen ein, bis sich das Kameraauge an einem Gesicht festsaugt. „Rechts, Links, im Profil“, heißt es dann wieder. Denn auch Tornatore ist ein Fachmann für Gesichter. Aber gewiß kein Hochstapler, denn der sizilianische Regisseur verhöhnt seine Heimat nie.
Alle sind sie ein wenig schepp. Ein Carabinieri stoppt sogar den klapprigen Fiat-Laster, um Dante zu deklamieren, und für die Familie eines Mafia-Dons bannt Joe die Totenfeier auf Zelluloid. „Es kesselt und brodelt in Sizilien“, wundert sich Joe einmal. „Und keiner weiß warum.“ Jedenfalls wollen alle weg aus Realsiza, Scardizzi und Collemares und wie die sizilianischen Städte noch heißen, um Stars in Rom zu werden. Das weiß Joe, und das nützt er aus.
Bis sich Beata an seine Fersen heftet, läuft auch alles wie geschmiert. Die Waise aus dem Kloster, die nicht weiß, ob sie nun fünfzehn oder achtzehn Jahre alt wird, tut alles, um mit Joe nach Rom zu kommen. Und zwar nicht nur weil er der Mann ist, der die Sterne macht, er bringt ihr auch das Küssen bei. Doch daß die Beziehung dieses ungleichen Paares nicht so glücklich wie im Kino enden wird, ist vorhersehbar.
Aber auch am Ende ist es nicht ausgemacht, ob der windige Talentscout tatsächlich ein Hochstapler ist. Auch wenn er, wie sich schnell zeigt, keine Filmrolle in die Kamera packt, wenn er die Träume vom Kinoruhm feilbietet. Doch das sagt nur das Gesetz. Die Gesichter der Sizilianer sagen etwas anderes.
Volker Marquardt
Holi, Zeise
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen