Die Jazzkolumne: Solisten gegen Solos
■ Die Gespräche dreier Herren im Hause „Jazzthing“ über den abwesenden Jazz
Gilles Peterson, John Zorn und Wynton Marsalis haben auf den ersten Blick eigentlich kaum Berührungspunkte. Von der Zeitschrift Jazzthing wurden sie deshalb nun als Zeitzeugen um Bestandsaufnahme und Ausblick gebeten. Suggeriert wird, dass sie genau das repräsentieren, was am Ende dieses Jahrhunderts Jazz ist.
Man werde sich auf den Geist des Jazz besinnen, prognostiziert Peterson, Label-Chef, Radiomoderator und Club-DJ in London. Was er meint, ist Insiderness: für die Sachen brennen, die man anschiebt. Wie Sun Ra, der die Cover seiner Platten selbst malte – unterwegs zwischen Auftritten – und sie dann beim Konzert verkaufte. Peterson beschwört den Jazz-Spirit der 50er- und 60er-Jahre, er vermutet hier eine Gegenposition zum heutigen Kommerzrummel der Plattenindustrie. Und Peterson redet von Strukturen, sucht neue Verkaufswege für Musik.
John Zorn warnt davor, zu hohe Erwartungen ins Internet zu projizieren. Wenn das Geld ins Spiel kommt, sagt er, würden die Musiker zu billigen Opfern großer Konzerne. Zorn, der Achtzigerjahre-Super-Hero der New Yorker Downtown-Szene, ebenfalls Label-Chef, Musiker, Bandleader und Komponist, gibt sich offen und verbittert zugleich. Obwohl seine treuesten Fans, die Kritiker, schon seit längerem an Zorn herumnörgeln und ihm arrogantes Punk-Gerotze und null inspiriertes Avant-Gedudel vorwerfen, gibt er im Interview noch einmal die Rolle des bekanntesten aller Jazz-Außenseiter. Nach Zuwendung schiele die selbst ernannte Avantgarde, nach Geselligkeit und Anerkennung. Gleichzeitig fühle man sich aber auch in der Rolle des unverstandenen Künstlers nicht nur unwohl. Zorn weiß, dass er Musik macht, die nur wenige Menschen interessiert. Und er erwartet nicht, dass sich das ändern wird. Im Unterschied zu Wynton Marsalis will er nicht mit vorgegebenen Budgets operieren müssen, im Unterschied zu Marsalis hat er allerdings auch keine kapitalkräftige Struktur im Hintergrund.
Zorn plädiert für grundsätzliche Unabhängigkeit. Sein Motto – Wenn man schon keine Millionen machen kann, dann sollte man erst recht keine faulen Kompromisse eingehen – macht Sinn. Für sein Tzadik-Label versendet er keine Promo-CDs, weder an Presse noch Radio, er macht überhaupt keine Werbung. Wer diese Musik hören will, muss suchen und kaufen. Und für Zorn funktioniert das sogar. Seitenhiebe teilt er heute an den Laden aus, der ihn groß machte. Oder war es umgekehrt? Jedenfalls hat Zorn mit der Knitting Factory schon längst nichts mehr am Hut, Leute, die seine Musik hören wollen, schickt er jetzt ins Tonic.
Das Tonic funktioniert dank Hype und nach anderem Prinzip als die hierarchisch strukturierte Factory, im Tonic ist jeweils ein Musiker pro Monat für das Programm zuständig, das soll allzu enge Verbändelungen mit einer Clique verhindern und Abwechslung garantieren. Zorn hängt keinen unerreichbaren Zielen mehr nach, der Sechsundvierzigjährige gibt sich abgeklärt und setzt auf ihm vertraute und von ihm kontrollierte Strukturen.
Wynton Marsalis bewohnt ein schickes Apartment mit Panoramablick im New Yorker Lincoln-Center-Komplex, dem Ort, wo der erfolgreichste amerikanische Jazzmusiker der letzten zwanzig Jahre arbeitet und seine besten Interviews gibt. Marsalis meidet hier den Rückfall in alt bekannte Statements, die ihn einst so anfeindbar machten. Er nennt Musiker wie Steve Coleman, Greg Osby, Marcus Roberts und Danilo Perez in einem Atemzug, verortet Ornette Coleman in seiner Redefinition der Jazzgeschichte, er prophezeit das Ende der Jam-Sessions, die er als historisches Missverständnis bezeichnet, und gibt kund, dass in Zukunft die Präsentation und Komposition der Musik mehr Bedeutung haben wird. Die Zeit des Solos sei hingegen abgelaufen, da es sich hierbei um eine langweilige und allzu berechenbare Art handele, Musik darzustellen. Die Rückbesinnung auf tanzorientierte Musik und eine Wiederentdeckung der Romantik nennt Marsalis noch; dass die CDs billiger werden müssten, bei Konzerten weniger Eintritt verlangt werden sollte etc.
Zum Schluss dieser Interviews steht je die Frage nach den persönlichen Zielen – und das ist dann der Punkt, wo Peterson und Zorn mit persönlichen Befindlichkeiten, Alltagsblues und einer gewissen Midlife-Beschaulichkeit kommen. Allein Marsalis sprudelt vor Visionen und vor Spirit. Er sieht seinen Jazz von unlauteren Wettbewerbern namens HipHop-Jazz, Acid Jazz und Drum & Bass in die Defensive gedrängt. „Druck machen, Druck machen“, geht nun seine Message, „gegen diesen ganzen Mist angehen, wie er uns entgegenschlägt.“
Lester Bowie hatte seine „Anti-Wynton“-Interviewstory in Jazzthing bereits einige Monate vor seinem Tod. Mit dem sich nun eine Epoche der Jazzgeschichte dem Ende nähert, in der die Taktik des Interviews zum Teil der Performance und der soziale Kommentar Bestandteil des musikalischen Versuchs wurde. Es endet die große Stunde der Individualisten, deren Werk gefährdet wird durch den eigenen Tod. Wynton Marsalis nimmt diese Spur fragmentarisch noch auf in seinem Versuch, das kollektive Gedächtnis nachwachsender Generationen zu schulen. Dass ausgerechnet John Zorn heute einen Wynton-Marsalis-Gastauftritt preist, mag dennoch eines der gesendeten Signale bleiben, für deren Deutung im Moment der exakte Code noch fehlt. Zorn hatte gerade die aktuelle Debüt-CD des Schlagzeugers Jeff „Tain“ Watts gehört, „Citizen Tain“, und Wyntons Spiel genau da als „fuckin' smoking“ betitelt, wo der Interviewer wohl eher Böses, wenigstens doch Kontroverses sich erhofft hatte. Zorn zeigte sich vorbereitet, als es an die Essentials ging, und Wyntons Solo im Eröffnungstitel „The Impaler“ hat die Qualität eines abschließenden Statements im Sinne jenes Jazz-Spirit, den Gilles Peterson dann wieder hochhält. Ramsch und Rummel ist die Sache der hier Gefragten jedenfalls nicht. Christian Broecking
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen