: Die Herausforderung
■ Privatisierung einer TV-Geräte-Fabrik
Die Fachhändler klumpten sich heuer auf der Funkausstellung (IFA) am Stand der RFT Staßfurt GmbH, einer Fernsehgeräte-Fabrik bei Magdeburg, die gerade auf kluge Weise privatisiert werden soll. Und zwar von mindestens 4.000 Einzelhändlern, von denen jeder mindestens 5.000 DM einbringen und die Abnahme einer bestimmten Anzahl von RFT-Geräten versprechen muß. 1.000 Gesellschafter, vor allem aus dem Osten hat Karl Hagedorn, Präsident des Zentralverbandes der Deutschen Elektrohandwerke (ZVEH), der auch mit der Treuhand verhandelt, bereits zusammen. Die Breuel-Behörde macht Zeitdruck: bis Ende September soll der Deal unter Dach und Fach sein, sonst ... In Staßfurt geht man aber davon aus, noch fast bis zur Jahreswende akquirieren zu dürfen. In diesen paar Monaten will man erheblich mehr Händler im Westen als Gesellschafter gewinnen. Die stehen zwar finanziell besser da, haben jedoch keine große Erfahrung mit Ost-Geräten. Anfang 93 kam das allseits mit „gut“ bewertete „Siesta“-Modell auf den Markt, wofür jedoch kaum Werbemittel zur Verfügung standen. Auf der IFA präsentierten die Staßfurter zudem noch ein von Luigi Colani als Straßenkreuzer gestaltetes Gerät namens „Challenge“. Die ersten seit 1926 in Staßfurt produzierten Empfangsgeräte hießen „Imperial“, nun kommt also „Die Herausforderung“. Mir fällt dazu zunächst John Denvers Lied auf den Challenger-Absturz ein: „They flew for us all“. Hoffentlich bezieht sich das nicht auch einmal auf die 650 RFT-Mitarbeiter, die der ZVEH weiterbeschäftigen will (jetzt sind es noch 700). In Staßfurt ist man optimistisch: „Hagedorn hat das bisher beste Privatisierungsangebot vorgelegt, und die Fachhändler-Bestellungen der IFA haben ein Volumen von 8 bis 10 Millionen Mark.“
Es spricht sich langsam herum: Zu DDR-Zeiten mußten die Geräte aus Staßfurt, die heute übrigens nicht mehr mit Farbbildröhren aus dem Berliner Werk für Fernsehelektronik, sondern von Nokia („Freedom through Technology“) ausgestattet sind, mindestens 15 Jahre halten. Dementsprechend gut ist der RFT-Kundendienst ausgebaut. Wenn die kleinen Händler Gesellschafter der kleinen RFT sind, können sie zudem verhindern, was ihnen immer wieder bei den großen Geräteherstellern passiert: Die Einkaufspreise ab Werk sind für sie höher als für die Geräte, die der Großhandel verkauft. In England hat dies bereits dazu geführt, daß es überhaupt keinen Fachhandel mehr gibt. Mit dem ZVEH-Privatisierungsmodell würden also zur Abwechslung mal die Marktchancen der Kleinen größer werden.
„Es geht auch darum, ein deutsches Produkt zu vermarkten“, so ein RFT-Kundendienstleiter. Die Werbeabteilung machte daraus flugs „Technology made in Germany“, und statt Staßfurt heißt es jetzt dynamischer Stassfurt, obwohl man häufig genau andersherum verfährt – wie beim Wort „Fitneß“ zum Beispiel. Helmut Höge
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