: Die Haß-Pädagogik der
■ Was von der „Entarteten Kunst“ geblieben ist, zeigt
Sich in die Zeitmaschine setzen und mal sehen, wie es war: die Wiederversammlung der Bilder, Drucke und Skulpturen der Naziausstellung Entartete Kunst (1937) unter dem Titel Entartete Kunst in Berlin ist vermutlich aus einem solchen Wunsch entstanden. Aber es ist dann eben doch kein bißchen wie damals, der Schauer, den Naziterror in seiner vielleicht dümmlichsten Ausprägung noch einmal erleben zu können (ohne sich dabei weh zu tun), bleibt vollkommen aus. Entartete Kunst ist, wie ihr Vorbild, dem sie nicht ähneln möchte, ein Looker's Digest, eine hoch didaktische Schau mit erprobten Mitteln.
Im Alten Museum schlendern schon in der ersten Woche täglich rund dreitausend Besucher vorbei an einem Pappmodell der Schau damals in München und den sehr unterschiedlichen Plakaten der Ausstellung an ihren verschiedenen Stationen. In einem zweiten Saal wird die Verbindung zur Paradekunstausstellung der Nazis hergestellt, die als „Große Deutsche Kunstausstellung“ 1937 parallel angelaufen war. Im dritten Saal kommt das ganze Grauen des Nationalsozialismus bis zu den Vernichtungs-KZs dran (Vitrinen, Tafeln, Monitor); im vierten wird auf die offiziell geächtete Jazz- und Zwölftonmusik aufmerksam gemacht.
Im fünften Saal beginnt dann, in gedämpfter und gediegener Atmosphäre, eine äußerst brave und akkurate Expressionistenausstellung, die einige überragende Gemälde von Lovis Corinth und Christian Rohlfs zeigt, wenige unbekannte Namen; eine winzige Kostprobe Dada, einiges an der Grenze zur Abstraktion oder zur Neuen Sachlichkeit. Mit der Kreuzabnahme von 1917 kann man nochmal Beckmann bewundern, die diagonale Dynamik seiner Figuren ist immer noch frisch. So streckt sich die Schau der Arbeiten — von den da- mals rund 600 gezeigten Schmähwerken ist rund ein Drittel jetzt noch nachweisbar, 175 konnten ausgeliehen werden — über weitere sechs Säle, die letzte Wand geht an die fast unerträglich pathetischen Linol-
eine amerikanische Ausstellung in Berlin
schnitt-Illustrationen Max Pechsteins zum Vaterunser. Anstelle der bekannten Nazi-Typographie („Verhöhnung der deutschen Frau“, etc.) sind die Werke wissenschaftlich ausgewiesen: So kann man zur Kenntnis nehmen, daß Kokoschkas Die Freunde einst der Berliner Nationalgalerie gehört hatte; jetzt ist es Eigentum des Wolfgang-Gurlitt-Museums in Linz. Viele Arbeiten gehören amerikanischen Privatleuten, Universitäten oder Museen: von diesem Aspekt des „sonst nie zu sehen“ lebt das Spektakel Entartete Kunst, das unter Regie des Deutschen Historischen Museums vom Los Angeles County Museum übernommen worden ist, dessen Kuratorin Stephanie Barron eine ungewöhnliche Anzahl von Leihgebern vom guten Zweck der Sache hatte überzeugen können.
Allerdings wird man den Verdacht nicht los, daß eine Neubewertung der gezeigten Epoche nicht einmal versucht werden soll. Zu sehr leidet die Ausstellung unter dem Stigma, daß die Haß-Pädagogik der Nazis schlicht verkehrt wird. Es legt sich ein moralischer Schleier über die Bilder, der aus einem zensierten Blick kommt: „Was Kunst war, ist verfemt“, wird Schmidt-Rottluff zitiert, dessen artiger Expressionismus Teilen des NS-Regimes auch nach 1937 durchaus noch als ausstellungswürdig galt. Nun heißt es, daß große Kunst gewesen sein muß, was einst verfemt war. Im Kassenraum der Ausstellung werden mit sympathischen, locker gekörnten Fotoportraits Künstler von damals vorgestellt, eine Galerie der guten Menschen mit passenden Zitaten. Thomas Mann: „Wo ich bin, da ist Deutschland.“ Otto Dix räsoniert über seine Bodenseelandschaften als Genre des inneren Exils. Im letzten Saal der Ausstellung wird die Portraitgalerie identisch wiederholt. Es fehlt nur noch der Raum für den Multiple-Choice-Test, wo man die falschen Zitate von den richtigen unterscheiden können muß.
Außerdem erweckt die Ausstellung den Eindruck, der Streit um die bildende Kunst der Moderne sei — wenn oder weil unter großen Verlusten — nun beigelegt. Tatsächlich hat etwa Joseph Beuys eben dieselben Ressentiments geweckt, die die Nazis damals gegen die Künstler zu mobilisieren suchten, als sie die Ankaufspreise an die Bilder klebten. Der Skandal einer Kunst, die Platz wegnimmt, die die Produktion und ihre Abfälle persifliert und nur mit kollektiven Mitteln für das Kollektiv gesichert werden kann, ist keinesfalls vorüber. Wenn der verzweifelte Humanismus des Expressionismus inzwischen so sehr durchgesetzt ist, daß der Heimkitsch sich längst an ihm bedient, ist die Heroisierung seiner Schöpfer dennoch ein zweifelhaftes Unterfangen. Das galt schon für die pompöse, aber gänzlich unreflektierte Retrospektive „Otto Dix“ in Stuttgart und Berlin; und auch im Alten Museum werden im Erdgeschoß wiederum „Deutsche Expressionisten“ gezeigt, zusätzlich zu den „entarteten“ im ersten Stockwerk. Der ästhetische Reiz solcher Unternehmungen ist ungefähr so groß, wie wenn das Berliner Ensemble den nächsten Brecht auf die Bühne bringt.
Wenn es bei diesen Bildern um irgendetwas zu streiten gilt, dann nur noch, wem sie gehören. Diese Erfahrung machte Christoph Stölzl, Chef des für die Ausstellung verantwortlichen Deutschen Historischen Museums (das im benachbarten Zeughaus sitzt). Am Donnerstag erschien im Alten Museum ein rüder Rechtsanwalt Peters aus Köln, der im Auftrag seines Mandanten, des russischen Kameramanns Jen Lissitzky, die sofortige Herausgabe der Sumpflegende von Paul Klee forderte. Der Lastwagen der Kunstspedition Hasenkamp stand schon vor der Tür; das Museum hatte ihn nicht bestellt. Peters hatte eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Berlin mitgebracht, dessen Richter Klasse, Schulze und Weber-Schramm (Zivilkammer 30) ohne Anhörung Stölzls die augenblickliche Herausgabe des Bildes angeordnet hatten. Offenbar war ihnen nicht bekannt, daß ein Bild nicht ohne aufwendige Vorbereitungen und langsame Gewöhnung an die Klima-Kiste aus dem Museum getragen werden darf. Stölzl verweigerte die Herausgabe und erhielt von der Gegenpartei im Laufe des Nachmittags die Zusage, daß das Bild für die Dauer der Ausstellung im Alten Museum bleiben werde. Es gehört übrigens seit 1982 dem Lenbachhaus in München, wo es auch zu sehen gewesen war. Sollten die Erben von Vorbesitzern im Laufe der nächsten Wochen schwarmweise auftreten, könnte sich die Gedenkausstellung als Wespennest internationaler Spannungen erweisen.Von Ulf Erdmann-Ziegler
Entartete Kunst , rund 100 Gemälde, 70 Grafiken, fünf Skulpturen; Altes Museum am Lustgarten; Berlin-Mitte. Bis zum 31.Mai 1992, Di/Mi 9-19, Do-So 9-21 Uhr, montags geschlossen; Eintritt acht Mark; Katalog 424 Seiten, DM 48 (broschiert), DM 98 (im Buchhandel, gebunden)
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