: Die Hälfte des Unterrichts in Türkisch
■ Großes Interesse an der neuen deutsch-türkischen Europaschule in Kreuzberg
Noch wirkt alles sehr bescheiden: Vier Räume in einem Seitenflügel des zweiten Stocks des Ziegelsteinbaus am Fraenkelufer in Kreuzberg. Vor einer Woche ist hier die neugegründete deutsch- türkische Europaschule eingezogen. In der Ganztagsschule wird die Hälfte des Unterrichts in Deutsch, die andere in Türkisch abgehalten. „Mein Sohn ärgert sich maßlos“, begründet die Mutter eines Fünfjährigen die Anmeldung auf die Schule, „daß er die Kinder aus der Nachbarschaft, mit denen er spielt, nicht versteht, wenn die sich untereinander unterhalten.“ Außerdem hält sie es für wichtig, daß die Kinder multikulturell erzogen werden. Eine türkische Mutter zeigte sich froh über die neue Einrichtung, bemängelte aber, daß diese unter Türken noch zu wenig bekannt sei.
Über mangelnden Andrang kann sich die Schule allerdings nicht beklagen. Schon jetzt liegen für die Vorschulkassen des kommenden Schuljahres 31 Anmeldungen vor. Die erste Klasse ist restlos ausgebucht, wie Dirk Jordan, der bündnisgrüne Kreuzberger Stadtrat für Volksbildung, berichtet. „Möglicherweise werden wir zum Schuljahr 1997 noch eine weitere Schule eröffnen.“
Ein Jahr lang hat Jordan gemeinsam mit einer Elterninitiative für eine Genehmigung des Projekts durch die Schulverwaltung kämpfen müssen. Ein regelrechter Hürdenlauf war nötig, um ans Ziel zu kommen, meinte der Stadtrat. Zunächst hieß es, die Realisierung des Projekts hänge davon ab, ob es genügend Kinder gebe. Als es genügend Kinder gab, sei der Senatsverwaltung die Raumproblematik eingefallen. Die Lehrer und die Nachmittagsbetreuung wurden zum nächsten Problem.
Bislang ist die deutsch-türkische Schule mit einer Vorschulklasse mit 16 Kindern eingezogen. Nach den Winterferien kommt im Februar die zweite Klasse dazu. Sie werden von drei Lehrern und zwei Erziehern betreut. Zum neuen Schuljahr im Sommer geht es dann mit der ersten Klasse los, zwei Klassen mit je 24 Kindern. Und so wird die Schule jedes Jahr um eine Klasse ergänzt werden, bis sie im Jahr 2001 dann mit zweimal sechs Klassen und zwei Vorschuljahrgängen als Grundschule komplettiert ist. Dann wird sie auch das ganze Gebäude in Anspruch nehmen müssen, in dem noch eine Musikschule residiert und in das bisher Schulen in Notfällen ausgewichen sind. Die Versuchsphase, für die die Finanzierung gesichert ist, dauert bis 2002, wenn die ersten Schüler die sechste Klasse abgeschlossen haben.
Die deutsch-türkische Europaschule ist die sechste Schule dieser Art in Berlin – nach Englisch, Spanisch, Italienisch, Französisch und Russisch. Die Schulen gibt es seit 1992 als Grundschulen. Im März will man in der Schulverwaltung darüber entscheiden, ob die Projekte auch auf den Bereich der Oberschulen ausgedehnt werden sollen. Christoph Oellers
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